Die aktuellen Mozart- und Wagner-Doubletten der großen, meistenteils fantasiearmen Häuser machen den wahren Berliner Opernfan mal wieder gähnen. Doch zum Glück gibt es ja die wackere Projektbrigade Berliner Operngruppe um ihren dirigierenden Spiritus rector Felix Krieger, die trotz Pandemie-Bedrängung konzertant Musiktheaterabhilfe schafft. Wenn auch jeweils nur für einen Konzertabend im Konzerthaus lang; mehr erlauben die stets klammen Finanzen nicht.
Trotzdem hat Krieger auch dieses Jahr wieder ein originelles Programm gestemmt. Nach der opulent-exotischen, sogar auf CD erschienen „Iris“ von Pietro Mascagni kurz vor Corona-Torschluss 2020 backt er diesmal freilich ein gehörig kleineres Mascagni-Brötchen. Der 40-minütige Einakter „Zanetto“, eher eine lyrische Szene für zwei Frauenstimmen und fünfminütigen a-cappella-Chor zur Einführung, wurde als Mascagnis Sechste am 2. März 1896 in Pesaro uraufgeführt. Er spielt auf dem Land in der Nähe von Florenz während der Renaissance und erzählt die Geschichte einer Begegnung zwischen der schönen Gastwirtin, womöglich auch Kurtisane Silvia und dem wandernden Minnesänger Zanetto. Obwohl die reizvolle Miniatur schlecht ausgeht, die frisch Liebenden sich nicht bekommen und trauen, herrscht trotz d-moll insgesamt ein sonnig heiterer Tonfall vor. Selbst als Sylvia weint, nachdem sie ihre Liebe zum jungen Zanetto aufgegeben hat und nun zusieht, wie er in der Ferne verschwindet, verklingt die liebenswürdige Partitur mit Zanettos noch einmal in der Harfe angezupftem Lautenmadrigal im Lyrischen. Und Silvia seufzt: „Gesegnet bist du, o Liebe! Jetzt kann ich wieder weinen!“
In der Berliner „Zanetto“-Erstaufführung wird man zunächst durch den doch merklich gealterten (Laien)Chor der Berliner Operngruppe allzu sehr auf den Boden der Opernmühen zurückgeholt: zu intonationsgetrübt hört sich das inzwischen an, bei aller Sympathie für dessen Mitglieder, die so lange nicht auftreten konnten. Da tut jedenfalls Verjüngung not. Auch wenn man noch weniger gern die instrumentale Alternativeinleitung gehört hätte.
Um so überraschender dann das selbstbewusste Auftreten Narine Yeghiyan, die die Silvia kürzestfristig übernommen, nur eine Orchesterprobe hatte. Mit Rose in der Hand und strahlendem Auftritt nimmt die temperamentvolle Sopranistin mit leuchtender Stimme, aber auch im gurrenden Mezzavoce sofort für sich ein, und auch die Chinesin Yajie Zhang im Samtanzug mit schwarzer Schleife um die Hüfte besticht mit ihrem weichen, legatogeübten Mezzo. Der Liebe wie der Musik Wellen schwingen herrlich ausbalanciert durch den Saal, mit vollendeter Italianità begeistert dieser skizzenhafte, melodisch blühende Gesang.
Kurt, scharf, temperamentvoll von der rhythmisch pikanten Ouvertüre an vollzieht sich nach der Pause der Stimmungsumschwung hin zur immer wieder vergnüglichen Farce „Il Segreto die Susanna“ des zu Unrecht nur noch so selten zu hörenden Deutsch-Italieners Ermanno Wolf-Ferrari, die 1909 erstmals in München gespielt wurde. Dort hat die Klamotte um die heimlich rauchende Gattin des ihr wegen des Geruchs einen Liebhaber andichtenden Grafen – bis beide sich erleichtert zum Erkenntnis gewonnen habenden Finale eine Zigarette danach anzünden, kürzlich im Rahmen der Covid-„Montagsstücke“ der Bayerischen Staatsoper eine gewitzte, halb vorgefilmte, halb live gespielte Version durch Axel Ranisch erfahren.
Doch auch die konventional geschickt als Commedia dell’Arte-Intermezzo vor dem Orchester von Isabel Ostermann inszenierte Berliner Fassung begeistert sofort das Publikum. Da wackelt der Kleiderständer und klirren die Kaffeetassen, dazwischen treibt es zudem ein komischer Diener (beweglich: Guido Lambrecht) äußerst farcenbunt. Lidia Friedman gibt, dünn, rothaarig, im blauen Hosenanzug, die Contessa Susanna mit spitzer, aber warmer Stimme, immer exaltiert, am Rande des Entdeckungsnervenzusammenbruchs. Auch Omar Montanari als schnurrender, wenngleich scharf die Vokalkrallen zeigender Baritongattenkater ist ein bewährter Vater der Klamotte, der seine Pointen wie Spitzentöne zu setzen weiß.
Virtuos rollt diese Farce auf ihr versöhnliches Ende zu, Dirigent wie das quicke Telefonorchester, bei dem na sogar so manchen Philharmoniker auf Opernabwegen erkennt, machen mal körperliche wie instrumentale Bocksprünge, haben den klanglich ausgeglichen Hüftschwung drauf. Dieser Einakter-Pas-de-Deux tanzt also äußert unterhaltsam im Konzerthaus Kür. Nach soviel Wagner-Schwersinn und Mozart-Ödnis in Berlin eine echte Erleichterung. Auch wenn Nikotin heute natürlich ein No-Go ist…