Musikalisch reichhaltiger Osterausflug: In Rheinsberg gab es Hasses Serenata „La Semele“

Der Weg führt über Oranienburg mit seiner seit der Landesgartenschau 2009 proper sanierten Ortsmitte am Hohenzollern-Barockschloss, das die meiste Zeit Fabrik oder Kaserne war. Dann nach Gransee, wo die Liebe eines anderen Herrschers Schinkel ein Eisensargdenkmal entwerfen ließ, weil hier Königin Louises Leichnam 1811 auf dem Weg nach Berlin eine Nacht rastete. Das ist bekannt. Der Rest des Weges weniger. Dann nämlich fliegt der Wagen an österlich grünenden brandenburgischen Alleen und sich sanft wellenden Feldern vorbei, still, sonnenbeschienen. Es ist früher Nachmittag in der Mark. Endlich in Rheinsberg, am Ziel der Reise, hat der Ratskeller die Terrasse voll.

Links wellt sich der Grienericksee, filigran dahinter die noch blattlosen Bäume, preußisches Meer. Und halblinks, an Schlosstürmen und sich wölbender Säulenarkarde vorbei, im Viertel-Hintergrund, sich nahtlos an den Baukörper anschließend und doch schon über dem Kanal, da gleißt es honigfarben. Das Theater. Ein schlichter Giebelbau, sein Musenrelief, Apoll hinmitten, ist für immer dahin. Nur die Büsten von Terenz und Plautus, links und rechts der braunen Holztüre, halten Ehrenwache für die in der sinkenden Sonne herannahenden Ankömmlinge. Dahinter die Steinmasse des Kavaliershauses.

Hier war er glücklich, Prinz Heinrich von Preußen, dem sein Bruder Friedrich II. das von ihm und seinem Architekten Hans Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff zwischen 1736 und 1740 erschaffene Künstlerparadies bis zum Tod 1802 als arkadisches Refugium überließ. Zauber eines Ortes, Zauber von Rheinsberg, der auch heute noch so perfekt wie unvermittelt nachwirkt.

Betritt man freilich das Theater, über dessen dort mehrmals wöchentlich gezeigte künstlerische Hochleistungen von Castrati, Musici und Acteuren die französische Aristokratin Marquise de Sabran, obwohl parisverwöhnt, des Lobes voll war, dann sackt der märkische Traum zusammen. Demokratisch ist er jetzt, nicht mehr royalistisch. Das Schlosstheater zeigt heute statt geschnitzer Holzlogen, die im Krieg verbrannten, Glas, Stahl und Halogen, vor geschlämmten Backsteinwänden, in einem mit mit maximal 300 Stühlen bestückten Mehrzweck-Auditorium, über dem ein lochblechbewehrter Rang thront und Hightech-Lampenwerk hängt.

Es gibt keinen festen Bühnenrahmen mehr, kein ständiges Proszenium, keine Züge, immerhin einen Samtvorhang. Alles perdu, marmorierte Säulen und edel geformte Balustraden. Schon seit 1802 erklang hier keine Oper mehr, das Haus verkam, ein Granatentreffer gab ihm 1945 den Rest. Die DDR hat sich nur darin hervorgetan, dass sie die Ruine nicht gleich abriss, sondern weiter gammeln ließ.

Seit 2000, nach 198 Jahren, ist es wieder funktionsfähig. Ein Hoftheater scheint es nicht mehr, nur ein nüchternes Gehäuse, das auf jeden Musenkuss wartet. Die Landesregierung hat es dem bescheiden vom sommerlichen Tourismus prosperierenden Rheinsberg zurückgeschenkt, auf stetes Betreiben des Komponisten Siegfried Matthus und seiner Sommerkammeroper sowie der im Kavalierhaus residierenden Rheinsberger Musikakademie. Der Kammeroper steht inzwischen Georg Quander vor, der hat hier auch einen österlichen Festspiel-Ableger etabliert. „Gefährliche Liebschaften“ lautet 2022 sein Motto: Es gibt eine Theaterproduktion des gleichnamigen de-Laclos-Roman in der Christopher-Hampton-Adaption, dazu Haydns „Sieben Worte am Kreuz“ mit Ulrich Noethen als Rezitator. Schlossführungen und Osterspaziergängen komplettieren schließlich auch eine Oper, eine kleine.

Die Serenata „La Semele o sia La richiesta fatale“ von Johann Adolf Hasse wurde 1726 in Neapel uraufgeführt und behandelt eine Episode aus dem reichhaltigen Liebesleben des Jupiters. Anders als etwa das weit bekanntere Händel-Oratorium konzentriert sich in dem Zweistünder alles auf den dauererregten Jupiter, seine eifersüchtige Frau Juno und die sterbliche Semele, das Objekt seiner Begierde. Zeus erscheint Semele als Mensch, eine seiner vielen Verwandlungen, um die Frau, die er begehrt, zu gewinnen. Er zeugt mit ihr Bacchus. Juno hingegen verkleidet sich ebenfalls und bringt Semele dazu, Jupiter zu bitten, ihm in seiner wirklichen Gestalt zu erscheinen. Seine Blitze und sein Glanz töten sie. Das Kind in ihrem Leib aber wird von Hermes gerettet und von Jupiter in seinem Oberschenkel ausgetragen. Aus Semeles Asche erwächst ein Weinstock.

So wird es mit viel mehr Personal im Mythos und auch bei Händel geschildert. Hasse hingegen lässt es straff und konzentriert zu einem guten Ende kommen. Hier wird Semele wie Phoenix aus der Asche wieder lebendig, sie bleibt ihm Jupiter Freundin, Juno aber die Geliebte, die seine göttliche Macht anerkennen muss. Wer es glaubt, eher scheint es eine rechte Rokoko-Menage à trois….

Fotos: Uwe Hauth

So jedenfalls, in der emotionalen Schwebe, aber vereint auf dem Bettrand sitzend, so lässt Georg Quander seine sachdienlich schlichte Inszenierung von 2018 enden, die zuerst bei den Innsbrucker Festwochen für Alte Musik zu sehen und auch im Theater an der Wien zu hören war. Juno und Jupiter wechseln vom göttlichen Barockfummel in zeitgenössische Kleider, wenn sie sich unter die Menschen mischen. Dafür hat Semele am Ende auch ein altmodisches Kostüm an. Auf der Bühne stehen ein paar Stilmöbel zum Sitzen und Liegen herum, etwas überaktionistisch wird das Trio vor einer sich bewegenden Freskoprojektion geführt.

Was auch dadurch zu erklären ist, dass im ersten Teil das emotionale Gewoge dauernd nur hin und her geht, dabei aber handlungsmäßig auf der Stelle tritt. Die vielen galanten, freilich durch die reine Streicherbegleitung (plus Theorbe und Cembalo für die Rezititive) auch ein wenig gleichförmig geläufigen Dacapo-Arien werden durch wenige Duette und ein Finaltrio durchbrochen. Der zweite Teil gerät allerdings straffer und abwechslungsreicher.

Semele hat eine interessante Arie zu singen, die Violinen malen das Vogelgezwitscher zu zwei sich herabsenkenden Piepmätzen. Und Hasse findet für die Passagen um Semeles Tod, zum Teil als begleitetes Rezitativ gestaltet, eine schlichte Trauer, nach der Junos Triumph aber fast zynisch wirkt.

Aus Innsbruck ist nur Roberta Invernizzi übriggeblieben, die mit reifem, fülligem Sopran eine nicht nur auf die zänkische Gattin beschränkte Giunone gibt. Der ebenfalls erfahrene Countertenor Filippo Minecca verkörpert mit großem Ausdrucksspektrum und klarer Höhe einen durchaus heldischen Giove. Semele hingegen ist die junge Gewinnerin des Rheinsberger Gesangswettbewerbs 2022, Anna Graf. Sie hat mädchenhaft zarte Sopranfarben, glockige Spitzentöne und ein fein flutendes Legato. Und im Graben holt der dirigierende Konzertmeister Alessandro Ciccolini mit der 15-köpfigen Formation Le Musiche Nove alles heraus, was das Spektrum der Gefühle für Saiten füllig und variationsreich möglich macht.

So war der Osterausflug nicht nur ein schöner Spaziergang an durch des Frühlings holden, belebenden Blick von Eise befreiten Seen und Bächen, sondern auch ein musikalisch fruchtvoll ergiebiger. Den auf der Rückfahrt noch ein romantisch stimmungsvoller Blutvollmond mit Wolkenaura vollendete.

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