Französischer Koloraturglanz mit einem Tropfen Essig: Zum Tod der letzten Soubrette Mady Mesplé

Mady Mesplé ist am 30. Mai in ihrer Heimatstadt Toulouse gestorben. Sie wurde 89 Jahre alt. Die französische Sopranistin war, trotz Natalie Dessay und anderen, wohl die letzte der echten, genuinen französischen Sängerinnen in der Nachfolge von Nelly Mathot, Denise Dupleix, Françoise Louvay, Denise Boursin und Mado Robin. Ja, mehr noch: Sie war die letzte der wahren Soubretten. Die Mesplé hatte sich immer intensiv und könnerisch der Interpretation der Werke französischer Komponisten gewidmet. Schon das Debut der am 7. März 1931 Geborenen mit dem fast schon lautmalerischen Namen war bezeichnend: 1953 debütierte sie nach ihrem Pariser Studium bei Jeanine Michau, in Paris und kurz darauf am Opernhaus von Lüttich in der Titelrolle von Léo Delibes’ „Lakmé“, und meisterte all deren irrwitzig pseudoindischen Koloraturen wie Pingpong-Bälle. 145 Sang sie ihre Signaturrolle live und spielte sie auch ein.

Daneben gastierte Mady Mesplé am Théâtre de la Monnaie in Brüssel. 1956 wurde sie Mitglied der Pariser Oper und der Opéra-Comique und brillierte in zahlreichen Rollen zeitgenössischer französischer Opern. So sang sie an 1962 in der Uraufführung der Oper „Princesse Pauline“ von Henri Tomasi. Sie wirkte auch mit in Maurice Ohanas „Syllabaire pour Phèdre“, sang die Constance in Francis Poulencs „Les Dialogues des Carmélites“ und führte auch dessen großen tragischen Monolog  „La Dame de Monté-Carlo“ auf. 1963 sang sie in der Pariser Uraufführung von „Le dernier sauvage“ von Gian Carlo Menotti und 1965 in der französischen Erstaufführung von Hans Werner Henzes „Elegie für junge Liebende“.

Ebenso widmete sie sich im Konzertsaal der Musik französischer Komponisten, etwa den Liedern von Albert Roussel oder Reynaldo Hahn. Carles Chaynes komponierte seine Sappho-Lieder für sie. Unzähliges davon erschien auf Tonträgern, etwa Erik Saties Konzertoper „Socrate“. Mady Mesplé begeisterte sich aber auch für die französische Operette, und da blieb es nicht bei Offenbach: Werke von André Messager, Charles Lecoq und Hahn fanden in ihr eine berufene Interpretin. Sie war ein Aushängeschild der französischen EMI, verzauberte und bezirzte mit ihrer glockenklaren, höhensicheren Stimme, in der der sich stets die sofort wiedererkennbaren Tropfen gallischen Essigs mischten.

Mady Mesplés Karriere war wohl stark auf Frankreich bezogen, verlief aber international: Sie trat an den bedeutenden Bühnen Italiens und der USA auf, sang an der Bayerischen Staatsoper München und gastierte sogar am Moskauer Bolschoi Theater. Zu ihrem klassischen Repertoire gehörten die Gilda, die Titelrolle in Gounods „Mireille“ und seine Juliette, die Philine in Ambroise Thomas’ „Mignon“ und die Ophélie in dessen „Hamlet“, darüber hinaus die Königin der Nacht und natürlich die wie nach ihr benannten Mademoiselle Silberklang im „Schauspieldirektor“ , die Titelrolle in Donizettis „Lucia di Lammermoor“, Rossinis Rosina , die Sophie in Richard Strauss’ „Rosenkavalier“ und die Zerbinetta.

Mady Mesplé verfügte über einen tänzelnden, sehr hellen Koloratursopran von außerordentlicher Beweglichkeit. Aufgrund ihrer Fähigkeit, auch schwierige Intervalle sauber zu intonieren, wählte Pierre Boulez sie für seine ersten Aufführungen von Arnold Schönbergs „Jakobsleiter“ aus. Während viele Vertreterinnen des Koloraturfachs vor allem die Virtuosität kultivieren, war Mady Mesplé eine Interpretin der feinen Zwischentöne. Sie spürte den Emotionen der von ihr verkörperten Figuren nach und stattete sie mit einem eigenen Charakter aus, der weit über das Rein-Musikalische hinausging. Mady Mesplés Stimme mochte in der Klangvielfalt etwas eingeschränkt sein, aber ihre subtile Schattierung, beispielhafte Aussprache und Reaktionsfähigkeit auf verbale Nuancen, Flexibilität und Reinheit der Intonation waren hervorragend.

1985 gab sie ihren Bühnenabschied. Mitte der Neunzigerjahre wurde bei Mady Mesplé Parkinson diagnostiziert. Sie begann eine Zusammenarbeit mit der „Association France Parkinson“ und schrieb in ihrer Autobiografie „La voix du corp“ auch ausführlich über den Verlauf ihrer Erkrankung. In Erinnerung wird sie mit ihren vielen Aufnahmen bleiben, die schon lange vor den Bemühungen der Stiftung Palazzetto Bru Zane, das französische Opern- Operetten und Liederbe des 19. Jahrhunderts hinreißend zum Strahlen brachten.

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