Des Meeres und der Britten-Liebe Wellen: Jonas Kaufmann debütiert in einer exzellenten Wiederaufnahme an der Wiener Staatsoper als komplexer Peter Grimes

Fotos: Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

Der „Tannhäuser“ steht weiterhin noch ziemlich konkret auf seiner Wunschliste, den Calaf wird er in Kürze als Studioproduktion der „Turandot“ unter Antonio Pappano immerhin für die CD festhalten (so wie auch schon Puccinis Pinkerton). Ansonsten war diese Spielzeit als einzige neue Rolle für Jonas Kaufmann das Debüt als Brittens „Peter Grimes“ vorgesehen. Eine Charakterrolle für einen reiferen Tenor, aber eben auch lohnendes Futter. Ungewöhnlicher Weise näherte sich ihr Kaufmann nicht in einer Neuinszenierung (da hätte es zwar Ende Februar ausgerechnet in München eine gegeben, aber die will er erst in der zweiten Spielrund beehren) , dafür in einer der am besten besetzten Wiederaufnahmen an der Wiener Staatsoper. Und weiter in die Moderne wird sich Kaufmann, denn aufwändige Uraufführungen schlicht nicht interessieren, sicher nicht mehr vorwagen.

Obwohl das gut getroffenen Charakterportrait eines verschrobenen, von der Dorfgemeinschaft ausgeschlossenen ostenglischen Fischers ihm bestens steht. Ja, nach seinem endlich der Rolle gewachsenen, neuerlichen „Otello“-Zusammentreffen in Neapel, den Peter Grimes durchaus als dessen vokale wie emotionale Weiterentwicklung ahnen lässt. Ein Unsympath, ein Menschenfeind, dem seltsamerweise wiederholt die Lehrbuben verunglücken. Nur die verwitwete Lehrerin Ellen Orford und der Captain Balstrode halten noch zu ihm, begleiten ihn bis in den nassen Tod, in den ihn, der nichts auszusprechen vermag, die rigide, auch nicht viel bessere Bürgerschaft fast wie in einer Hexenjagd treibt.

Der Grimes von Kaufmann, das ist eigentlich ein smart ergrauter Best Ager, kein Schrat oder Sonderling. In seinen fast hüfthohen Gummistiefeln macht der Startenor beste Figur. Und doch singt er plastisch von seiner Not, kommt schrittweise seine Weltabgewandtheit, sein sich nicht ausdrücken Können durch. Wieder holt Kaufmann seine Töne arg aus dem Inneren der Figur, baritonal, bisweilen stumpf, ohne extrovertierten Glanz, fast beiläufig. Aber der Tenorstrahl kann trotzdem aufblitzen. Ein wenig fehlt die helfende Regiehand schon, aber glaubwürdig und meist in große Tableaux verwoben, so wie Britten diesen möglicherweise schwulen Außenseiter anlegt, den er für seinen Lebensgefährten Peter Pears geschrieben hatte, lässt Jonas Kaufmann ihn leiden und auch sparsam leuchten. In jedem Fall eine neue, spannende Seite in seinem Rollenverzeichnis. Auch das Englisch tönt makellos.

Ungewöhnlich präsent, sich notwendigenfalls selbst durch die aufgewühlten Klangwogen des Chores wie des instrumental vielfältig schillerndes Meeres einen Tonweg bahnend, debütiert an Kaufmanns Seite die in jeder Hinsicht große Lise Davidsen als Ellen Orford. Die Stimme hat Wärme und Empathie, kann aber auch scharf schneiden, dabei immer schön dunkel abgerundet. Ein selbstlos liebender Sopran, jenseits dem Klischee, eine unbeirrt starke Frau. Und als guter, prägnanter Bekannter steht auch – welcher Luxus – Bryn Terfel als Balstrode kameradschaftlich seinen Mann, auch wenn einstmals so knorrige Bassbaritonstimme frühzeitig gealtert und schattig geworden scheint.

Die Wiener Staatsoper hat zudem gute Repertoirearbeit geleistet. Hervorragend und prägnant alle kleineren Rollen. Simone Young, bewährt in diesem Repertoire, hat das philharmonischen Opernorchester wunderbar im schnittigen Britten-Griff, top auch der perfekt studierte Chor, besonders präzise in der schneidigen Massenchoreografie der 25 Jahre alten Christine-Mielitz-Inszenierung, die einst für den so ganz anderen Grimes von Neil Shicoff Britten den Staatsopern-Zugang gewährte (1996!). Sie ist gut gealtert, ebenso die sparsam antinaturalistische Gottfried-Pilz-Bühne mit ihren charakteristischen Neonröhren. Das weckt fast nostalgische Gefühle, auch wenn sich der Produktion der aufregend neuen „Grimes“-Deutung durch Christof Loy im Theater an der Wien stellen muss, die kürzlich dort noch einmal gezeigt wurde. Doch anders als bei den meisten ihrer bisherigen Premieren der neuen Ära, steht die Staatsoper damit gar nicht alt da. Nur anders. Anfang Februar gibt es übrigens die Kammersängerwürde für Kaufmann und Terfel, Simone Young wird Ehrenmitglied des Hauses.

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