Egal ob Giuseppe Scarlatti (1718/23-77) nun der Enkel von Alessandro und Neffe von Domenico war – er behauptete solches –, oder ob die Herkunft auf immer so nebulös bleiben wird wie bereits sein Geburtsjahr. Opern komponieren aber konnte dieser Italo-Österreicher, der sich ab 1757 als Josef Scarlatti dauerhaft in Wien niederließ. Vor allem Buffas. So war etwa sein Opus „I portentosi effetti della madre natura“, dessen gestelzter Titel auf Deutsch „Die wundersamen Wirkungen von Mutter Natur“ lautet, sehr erfolgreich. Kein Wunder, war bereits das witzig zupackende, durchaus originelle Libretto von keinem Geringeren als vom venezianischen Komödienkönig Carlo Goldoni. 1752 wurde das ganz Europa lachen machende Werk in Venedig uraufgeführt. Friedrich der Große optimierte damit am 16. Dezember 1763 die erste Berliner Karnevalssaison nach dem Siebenjährigen Krieg in Berlin. Preußische Wiederaufführungen gab es später in der Charlottenburger Orangerie (mit Casanova im Publikum) und 1768 endlich im neuen, intim palmstammbesetzten Schlosstheater des Neuen Palais in Potsdam.
Das hat auch Dorothee Oberlinger, die dirigierende Blockflötistin und neue Leiterin der Musikfestspiele Potsdam, herausfinden lassen und sich das nur stückhaft überlieferte, inzwischen mit Manuskripten aus Wien und Wolfenbüttel musikwissenschaftlich komplettierte Werk gleich selbst reserviert. Als Regisseur hat sie sich den französischen Filmemacher Emmanuel Mouret erwählt, der das dramma giocoso per musica uneitel, fast werkgerecht inszeniert hat.
Kontrasthaft reizvoll aber nicht als historische Wiederbelebung, wie das in den ersten beiden Oberlinger-Jahrgängen mit den Opern hier der Fall war, sondern in ein heutigeres Ambiente versetzt. Ein wenig nostalgisch geht es freilich doch zu: Statt in einer arkadischen Landschaft mit Schäferinnen und Hirten, verstrickt in ihre amourösen Verwicklungen, finden wir uns in einem eintönigen Büro wieder. Das muss aus den Eighties sein, denn die benutzen Schnurtelefone kommen alle noch sehr graumäusig daher, wie auch sonst die praktisch monochrome Einrichtung in den drei verschiebbaren Waben (Ausstattung: David Faivre).
Gut, dass der Regisseur, dessen Film „Chronique d’une liaison passagère“ eben in Cannes vorgestellt wurde, sicher nicht weiß, wer heute in Deutschland als der freilich schon ziemlich alt gewordene König von Mallorca gilt, denn sonst wäre die dort spielende Geschichte sicher etwas mehr mit Jürgen-Drews-Drall in Richtung Schinkenstraße-Trash abgeglitten. So aber bleibt alles wohlgeordnet im Format „Büro, Büro“. Den Stromberg der Schreibtischhengste gibt hier der schnell als HB-Männchen musikalisch explodierende – das freilich in wohlgeführten Countertenor-Koloraturen – Altus Filippo Mineccia. Der unverständlicherweise in Militäruniform paradieren muss, auch wenn er hier nur der Boss der Drehstühle, Aktenregistraturen und Wasserspender ist.
Ach ja, im Goldoni-Original mimt er Ruggiero, der sich die Herrschaft vom als Kind isolierten und weggesperrten König Celidoro angemaßt hat. Bis dieser plötzlich im babyblauen Trainingsanzug als Twen-Kind aus dem Keller ausbricht und naiv alles Menschliche erst erlernen muss. Ein damals beliebtes Gedankenexperiment, dem auch einige Marivaux-Stücke ihre Würze verdanken. Dabei gerät der mit liebenswertem Tenorschmelz und Knuddelcharme von Rupert Charlesworth gesungene Celidoro, der von der Anziehungskraft der Geschlechter nichts weiß, als erstes an die Putzfrau Cetronella. Die (Benedetta Mazzucato singt sie mit üppig weichem Mezzo als Raumpflegerin de luxe) kümmert sich um den Naivling, lernt ihm Liebe und Leben, Fühlen und Regieren. Um am Ende in schönster Utopie („Wir sind doch alle aus einem Teig. Also Schluss jetzt!“) samt Staubsauger mit ihm vereint zu werden.
Für die Seria-Ausdrucksformen des Leidens, des Zorns und der Rache ist neben Ruggiero auch dessen vernachlässigte Gattin Lisaura zuständig, welcher Roberta Mameli mit weinerlicher Teperament feinen Legatolauf und präzis gestochene Höhen verleiht. Das Nachsehen hat freilich Cetronellas bisheriger Lover, der Hausmeister Poponcino (geläufiger Bariton: Niccolò Porcedda). Ganz anders als sein Name („strammer Po“) verheißt, ist er libidomäßig eher erschlafft. Maria Ladurner ist sopranstark die ebenfalls handwerklich zupackende Ruspolina, die ebenfalls an Celidoro interessiert wäre, sich aber mit dem Werkzeugkasten begnügen muss. Zu den Proletariern als Hauptprotagonisten der Buffa gehören zudem der ein wenig hohle Bassbariton João Fernandez als Wachschef Calimone und die nette Dana Marbach als seine, Celidoro aus mancher misslichen Lage führende Tochter Dorina.
Das buffowuselt mehr oder weniger vorhersehbar vor sich hin, findet aber doch immer wieder Überraschungskurven und Handlungshackenschläge bis zum obiligatorischen lieto fine, wenn sich alle in der Kaffeepause mit der Bürotasse zuprosten. Höchst unterhaltsam anzuhören sind neben den stilistisch buntgemischten Arien wie Ensembles auch die liebevoll gestalteten, Oboe und Fagott herausstellenden Zwischenspiele, die die (mit bisweilen ein wenig Pergolesi angereicherte Partitur) noch abwechslungsreicher machen. Am Anfang ein wenig ruckelig, kommen Dorothee Oberlinger und ihr diesmal 21-köpfiges Ensemble 1700 schnell in schnittig-galante Opernkomödienfahrt.
Ja, dies lustige Petitesse mach Laune, hier wird niemand isoliert bleiben, alle stimmen in den Beifall an, das diesjährige Musikfestspiele-Thema „Inseln“ wurde mit die dieser gar nicht launischen Natur-Oper schon mal sehr stimmig eingekreiselt. Fortsetzung folgt allein mit noch weiteren vier Musiktheaterprogrammpunkten. Und mitgeschnitten wurde diese reizvoll triebgesteuerte Buffa-Entdeckung zwischen Pasta und Basta ebenfalls.