Rares von Mascagni und Adam bei den Tiroler Festspielen Erl

Fotos: Xiomara Bender

Aufsperren, zuschließen, wieder öffnen – in der österreichischen Kulturpolitik ging es in den letzten Pandemiemonaten noch ruckeliger zu, als in der länderbestimmten deutschen. Im November schlitterte man dort in den dritten Lockdown, alle Theaterlichter gingen am 21. November aus, aber am 12. Dezember durfte wieder aufgesperrt werden. Und das ohne die zuletzt lästigen PCR-Tests 24 Stunden vorher – auch für Geimpfte. Und so finden gegenwärtig auch die Winterfestspiele im tirolerischen Erl statt, gleich an der deutschen Grenze bei Kiefersfelden. Wenngleich nur 500 der 730 Plätze besetzt werden dürfen, denn darüberhinaus muss man seit dem 27. Dezember in der Alpenrepublik für einen Theaterbesuch dreifach geimpft sein und einen PCR-Test vorweisen.

Drakonische Einlassverhältnisse also. Zudem wurde eben noch der letzte Prozess nach dem Skandal um den ehemalige Gründer Gustav Kuhn verloren, der 2018 nach diversen MeToo- und Arbeitsrechtsverfehlungen gehen musste. Hans Peter Haselsteiner, als Bauunternehmer, einer der reichsten Männer Österreichs, Kuhn-Fan und Festspiele-Finanzier, verfolgte weiterhin den Blogger Markus Wilhelm, der fast im Alleingang gegen die unkritischen Tiroler Medien die Skandale aufgedeckt hatte. 26.000 Gerichtskosten muss Haselsteiner mit seiner Privatstiftung übernehmen.

Das mag aber den neuen Intendanten Bernd Loebe nicht kratzen, der jetzt einträchtig mit dem dem Festival nach wie gewogenen Haselsteiner in den Premieren saß. Loebe, in Hauptberuf Frankfurter Opernintendant, hat die Festspiele kostengünstig und sinnvoll als eine Art Kindergarten der Hessen umgestaltet: aus seinem großen Ensemble können sich hier Sänger in neuen Rollen ausprobieren, assoziierte Dirigenten sind dabei und ehemalige Regieassistenten, die inszenieren dürfen. So wird hier professionelle Oper gemacht – und nicht nur Konzert im Kostüm, wie allzu oft unter Kuhn.

Gegenwärtig laufen in Erl also die zweiten Winterspiele unter Bernd Loebe. Er hat ein reizvolles, dem dortigen Rahmen perfekt passendes Raritätenprogramm vorbereitet. „Freund Fritz“, die im Elsass spielende Oper von Pietro Mascagni mit dem berühmten Kirschenduett und „Der Postillion von Lonjumeau“ von Adolphe Adam, wo dem Tenor mehrmals das hohe D abverlangt wird. Zwar gab es in der Grenze zu Tirol wie auch im Wendelstein-Gebiet auf der deutschen Seite keinen Schnee, aber die Stimmung im Saal war so sonnig und gut wie draußen.

L’Amico Fritz“, 1881 uraufgeführt nach dem Erfolg der blutigen „Cavalleria Rusticana“, ist eine kaum 90 Minuten kurzer, chilliger Dreiakter. Der mit viel leidenschaftlicher Musik kaum mehr erzählt, als dass der reichen Grundbesitzer Fritz sich in die Pächtertochter Suzel verliebt. Dirigent Francesco Lanzillotta lässt es instrumental blühen und grünen, statt Rosen schenkt man sich jetzt höchst melodiös Kirschen in Tirol. Ute M. Engelhardt gibt der simplen Handlung mehr Tiefe, indem sie den Musikanten Beppe gendert und eine verführerische Nebenbuhlerin aus ihm macht. Nina Tarandek singt sie mit üppigem Mezzo. Auch den hier merkwürdig deplatziert wirkenden, als Heiratsvermittler fungierenden Rabbi David neutralisiert die Regie. Domen Krizaj singt ihn mit fokussiertem Bariton als guten, liebeskritischen Kumpel.

Da wird mit den Kirschbäumen symbolhaft gespielt, im getäfelten Zimmer tun sich Paneele der Imagination auf; sogar Botticellis „Primavera“ wird symbolhaft für die sopranstark von Karen Vuong mit ordentlich Lautstärke ausgestattete Suzel als lebendes Bild bemüht. Am Ende bekommt dann aber doch der ebenfalls kräftig mit freier Höhe trompetende Gerard Schneider sein elsässisches Fräulein – und alles ist italooperngut.

Nach der italienischen Liebeskomödie ging es um l’amour auch im 1836 komponierten „Postillon de Lonjumeau“ von Adolphe Adam. Alle hohen D‘s wurden ganz hervorragend mit tenoralem Leichtsinn wie sängerischer Leichtigkeit von Francesco Demuro getroffen. Obwohl der als vor seiner Braut aus Eitelkeit in eine Karriere als Opernsänger flüchtende Postbedienstete ein eigentlich wenig sympathischer Charakter ist.

Auch die in dieser Bigamistenkomödie ihm doppelt verheiratete Madeleine von Monika Buczkowska trillerte leichtgewichtig als Sopran-Kanarienvogel mit Witz und Charme. Hans Walter Richter hat dieses auf ganz reizende Weise aus der Zeit gefallene Werk als pfiffige Backstage-Comedy mit ernsteren Untertönen und Rokoko-Slapstick-Personal in ein rotierendes Miniaturbarockkulissentheater gestellt. Eric Nielsen, Musikchef in Basel, ehemals Kapellmeister in Frankfurt, dirigierte mit Spaß und Metiersicherheit. Und so wurde auch die zweite Premiere in Erl zu einem ungetrübten, fast sehnsüchtig von allen Besuchern aufgesaugten Erfolg.

Die Winterfestspiele laufen noch bis 6. Januar, beide Opern werden noch jeweils zweimal gespielt. Außerdem tritt der Tölzer Knabenchor auf, es gibt Silvester- und Neujahrskonzerte, die Nielsen und Lanzilotta dirigieren, ein Jazz-Klassikkonzert als „Winterreise“ und einem Abschlusskonzert mit Strauss, Mahler und Schostakowitsch. Und im Sommer geht es ab 11. Juli mit „König Arthur“ von Chausson, einer raren Belcanto-Oper von Rossini sowie als zweitem „Ring“-Teil mit der „Walküre“ in der Regie von Mezzolegende Brigitte Fassbaender weiter.

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