American tutti frutti: Als Auftakt des neuen Bezahl-Streams „Met Stars Live in Concert“ schmettert Jonas Kaufmann aus Polling einen bunten Ariensalat

Nein, ein besonders gelungener Start war das leider nicht. Die Metropolitan Opera, die sich in der aktuellen Pandemie einer der finanziell gefährlichsten Situationen ihrer Geschichte gegenübersieht, hatte eine an sich gute Idee. Warum nicht als erfahrene Streaming Unit, die die letzten Monate und immer die Melomanen-Gemeinde mit kostenlosen, 24 Stunden abrufbaren Aufführungskonserven aus ihrem reichhaltigen Repertoireschrank beglückte (was ihr einiges an Sponsorengeldern und auch neuen zahlungsbereiten Abonnenten einbrachte) einfach ein neues Format auflegen? „Met Stars Live in Concert”, die berühmtesten Goldkehlen statt auf der Bühne an einem schönen, geschichtsträchtigen Ort in ihrer Nähe, circa 70 Minuten für 20 Dollar. Über das nächste halbe Jahr verteilt.

Da hätte man sinnvolle Programme auflegen können, Intimes und Spektakuläres, womöglich auch zur weiteren Verwertung über den Augenblick hinaus. Doch schon der erste, problematische Auftritt von Jonas Kaufmann aus dem Bibliothekssaal in Polling am Ammersee, nicht weit weg von seinem Haus, offenbarte Defizite. Erst musste man, trotz Bezahlschranke, Werbung ertragen, auch für Kaufmanns neuen Knödel-„Otello“. Dann gab es kurze Statements aus dem New Yorker Regieraum von Moderation Christine Goerke. Die Wagner-Hochdramatische fiel dabei gleich wieder in den üblich glatten US-Sound der ewigen Übertreibungen („breathtaking“) und Superlative („stunning“), auch Met-General Manager Peter Gelb erwähnte zwar Schwierigkeiten, aber lächelte die stoisch weg; mit keinem Wort wurde etwa des entlassenen Orchesters und des entlassenen Chors gedacht.

Jonas Kaufmann, der in den letzten Monaten eine Weihnachtslieder-CD eingespielt, sich mit Liedern beschäftigt hat und wiederholt bei den Montagskonzerten der Bayerischen Staatsoper aufgetreten ist, sangt nun mitnichten, begleitet von Helmut Deutsch im dramatisch ausgeleuchteten, von sechs Kameras, eine am Galgen, im Auf und Ab, Zoom und Nahaufnahme fließend abgefilmten, seiner Stühle enträumten Barocksaal ein darauf abgestimmtes Programm. Im überakustisch leeren Raum gellte er eine banale Abfolge von zwölf Tenor-Showstoppern in italienischer und französischer Sprache, die man meistenteils in den letzten Corona-Monaten zur Genüge genossen hat. Und die man von ihm auch alle schon kennt. Dazwischen gab es, zur Interpreten-Erholung, ein paar weitere Arien-Clips mit ihm aus Met- und Salzburger Osterfestspielbeständen.

So reduzierte sich die mit einem Tonaussetzer beginnende, auch mal einen Regieschrei hören- und durchs Bild laufende Kameraleute sehenlassende Veranstaltung auf einen bunten Ariensalat: american tutti frutti. Vertan die Gelegenheit, die Besucher mit ein paar Einspielern zwischendurch über die Geschichte und Bedeutung von Polling zu informieren, sie filmisch mit in die Kirche und die Umgebung zu nehmen. Auch ein aufgezeichnetes Interview mit Kaufmann in mehreren Teilen wäre möglich gewesen.

Weit schwerwiegender aber: Der im schwarzen Anzug und offenem weißen Hemd antretende Jonas Kaufmann war nicht sonderlich gut bei Stimme. War er verkühlt oder war es Heuschnupfen? Er hustete vehement, räusperte sich, ja rotzte zwischendurch. Die „Tosca“-Ausschnitte gelangen noch einigermaßen routiniert, der französische Teil mit Bizet, Gounod, Meyerbeer und Massenet offenbarte versemmelte Schlussnoten, brüchige hohe Töne, ein dünnes, heißeres Piano, eine trockene voix mixte, Einheitsforte um durchzukommen. Das besserte sich wieder zum Ende.

Wirklich optimal war nach Schnipseln aus „La Gioconda“, „Adriana lecouvreur“ und „Andrea Chenier“ nur das leidenschaftlich gedrängte „È la solita storia“ aus Cileas „L’Arlesiana“. Da aber gab es das alte Streamingproblem des um glaubwürdige Verismo-Emotion ringenden Interpreten, der nach dem abgerissen Schlusston schnaufend vor einem stummen, weil leeren Auditorium steht. Die gnadenlos bis zum zuckenden Zäpfchen ihm dann noch einmal bei einem soliden, aber wenig italophilen „Nessun‘ dorma“ auf die Tenorpelle rückende Kamera war zusätzlich unangenehm.

Und nicht wirklich gnädig waren auch die Pausenfüller. Der sechs Jahre alter „Werther“-Ausschnitt offenbarte einen deutlich jüngeren, feurig-strahlenden Tenor auf dem Höhepunkt seiner Mittel und Nuancierungen. Das ist jetzt einem angegriffenen Al-fresco-Stil gewichen. Kaufmann müht sich, aber manches geht oder gelingt einfach nicht mehr. Beunruhigend. Auch Helmut Deutsch mit am Klavier einfach nur faden, farblosen Opernzwischenspielen von Puccini und Leoncavallo war keine gute Programmentscheidung. Am Ende appellierte Jonas Kaufmann an die Zuschauer, die Sängerkollegen in Not zu bedenken und spendete selbst 5000 Dollar. Auch in Deutschland hat er sich bereits für eine Initiative der Zeitschrift Oper! stark gemacht.

Nächste „Met Stars Live in Concert“-Station nach Polling ist das Dumbarton Oaks Museum in Washington, wo Renée Fleming am 1. August auftreten wird. Vielleicht lassen sich bis dahin einige der Kinderkrankheiten der Serie optimieren. Es folgen am 16. August Roberto Alagna und Aleksandra Kurzak, live von der Terrasse des Château de la Chèvre d’Or in Èze an der Côte d’Azur. Lise Davidsen lässt sich am 26. August aus dem Oscarshall Palast in Oslo vernehmen. Am 12. September ist Joyce DiDonato im Fundació Hospital de la Santa Creu i Sant Pau in Barcelona zu hören, am 26. Sondra Radvanovsky und Piotr Beczala ebenfalls aus Barcelona. Am 10. Oktober wird Anna Netrebko aus dem Wiener Palais Liechtenstein zugeschaltet; am 24. folgen Diana Damrau und Joseph Calleja aus Malta. Pretty Yende und Javier Camarena singen am 7. November in Zürich, Sonya Yoncheva ist am 21. in Berlin dabei. Am 12. Dezember tönt Bryn Terfel aus Wales, am 19. Angel Blue zum Finale aus New York.

SHARE

Schreibe einen Kommentar