Berührt und erhoben: Impressionen aus Kriegserinnerung und Bamberger Klangpracht beim Würzburger Mozartfest 2024

Fotos: Beate Kröhnert

Opernaufführungen im mit der Unesco-Weltkulturerbe-Plakette veredelten Kaisersaal der Würzburger Residenz, gediegene, ungefährliche Konzertware mit großen Namen in den Kirchen und anderswo. Requiem und „Les petits riens“, vertanzt im Hofgarten. Das war lange das Markenzeichen des inzwischen 104 Jahre alten, schon lange maßgeblich auch vom Bayerischen Rundfunk verbreiteten Würzburger Mozartfestes. Eine gewisse Verbindung des Komponisten mit Würzburg wurde dabei lediglich aus einem Brief vom 28. September 1790 an seine Frau Constanze hergeleitet. Darin beschreibt er, wie er in Würzburg Kaffee trank und die Mainmetropole als „eine schöne, prächtige Stadt“ wahrgenommen hat.

Doch Evelyn Meining, inzwischen auch schon im elften Jahr Mozartfest-Intendantin, bricht dieses traditionsreiche, vorwiegend von einem ältlich-konservativen Publikum besuchte Konzertfest immer wieder gern auf: mit MozartLabor, M PopUp als Freiraum und Begegnungsstätte, dieses Jahr als „Garten Eden“. Und unter dem diesjährigen Motto „Schuld & Vergebung – Seelenforscher Mozart“ lässt sie gar als Eigenproduktion im klösterlichen Mutterhaus der Schwestern des Erlösers, gleich hinter dem Kiliansdom, bei einer Musiktheatralischen Installation in vier Stationen mit Musik und Zeitzeugenberichten ein sich verlierendes, sich wiederfindenden Paar inmitten der Zuschauer im ehemaligen Luftschutzkeller das Grauen der Kriegszeit spielen und Kunstlieder singen; und es gibt andere zeitgenössische Inventionen.

Diese „helle Nacht“ mit Musik aus drei Jahrhunderten, Lyrik und Zeitzeugenaussagen von 1944 und 1945, vor allem aus der Bombennacht vom 16. März, die kurz vor Kriegsende die Altstadt zu 90 Prozent einäscherte, sie berührt vor allem durch ihre unmittelbare Nähe. Maximal 75 Besucher stehen zwischen den Ausführenden, einmal auch in jenem, immer noch mit gottesfürchtigen Sprüchen verzierten Raum, in dem damals 300 Klosterschwestern und 200 Soldaten den Feuersturm überlebten.

Vier Nonnen sind jetzt auch lesend dabei, wenn im Speisesaal in der alten Küche und eben in der Unterwelt das fiktive Paares Laura und Hannes in Kriegs- und Nachkriegszeiten gezeigt wird, Abschied nimmt, sich endlich (freilich gezeichnet) wiederfindet. Verqualmt sind die Räume, Stein- und Kohlhaufen überall, liturgische Gerät liegt zwischen und neben einem Flügel, noch blühen Blumen, später wird in von innen leuchtenden Koffern nach Habseligkeiten und Dokumenten gewühlt, in zerrissenen, staubigen Kleidern schließt man einander wieder in die Arme.

Nachdem man von Willkommen und Abschied, Liebe und Leid gesungen und gesprochen hat, ein Streichquartett in immer neuen Musikschleifen mäandert. Max Koch (Konzept und Regie) und Tamara Yasmin Quick (Konzept und Dramaturgie) haben „Hell ist die Nacht“ ersonnen, Ulrich Cornelius Maier leitet am Klavier, Thorben Schumüller hat asketisch, aber stimmungsstark ausgestattet. Die Mezzosopranistin Elisabeth Wrede und der Bariton Uli Bützer rühren eindringlich, mit kleinen Gesten und vollen, ausdrucksnuancierter Stimmen, mit Mozart, Ives, Mahler, Celan und Brecht. Das Quartett Four4Strings spielt fragile Linien von Gloria Coates. Absurd ist der Krieg, brutal und unmenschlich, hier auf das kleinste, direkteste Format eingedampft, und doch steht am Ende – Hoffnung. Nächstes Jahr, zur 80. Wiederkehr der Bombennacht, müssten diesen starken 90 Minuten, nach denen zur verbalen Aufarbeitung wie Nachbereitung bei geistigen Getränken geladen wird, eigentlich wiederaufgenommen werden.

Seit gefühlten Ewigkeiten sind aus dem benachbarten Bamberg auch die dortigen Symphoniker als eine Art heimliches Residenzorchester beim Mozartfest Würzburg zu Gast, meist sogar mehr als einmal. Den Auftakt machte dieses Jahr, zu dessen 200. Geburtstag im September, „Bruckner im Dom“. Schließlich sind die Bamberger dank Horst Stein, aber auch ihres gegenwärtigen greisen Ehrendirigenten Herbert Blomstedt, großkirchenerfahren wie echogestählt. Sie haben mit Bruckners himmelstürmender Sinfonik schon ganze Dom-Tourneen absolviert, bis in die niederösterreichische Stiftskirche St. Florian, wo in der Gruft unter seiner Orgel der Sarg Bruckners steht, immer mit frischen Blumen bekränzt.

Der hohe Kiliansdom ist also voll, Bischof Franz Jung hat in der ersten Reihe Platz genommen. Einige seiner Vorgänger, zwei davon immerhin von Tilman Riemenschneider gemeißelt, starren von ihren Marmorgrabplatten an den Säulen auf das Geschehen. Vor die 1. Sinfonie, Bruckners, „keckes Beserl“, uraufgeführt 1868 und dann bis zur Wiener Überarbeitung von 1891 nicht mehr gespielt, hat die pausenlose Programmatik freilich Ottorino Respighis drittes Violinkonzert, das hier bestens passende Concerto gregoriano gesetzt. Das ist noch viel seltener zu hören als Bruckner Nicht-Erstling, dem bereits eine Studiensinfonie vorausging, noch dazu mit einem Interpreten von Rang.

Der ist hier geboten in Gestalt des deutschen Ausnahmeviolonisten Frank-Peter Zimmermann, der das Werk schon lange kennt und nun endlich auch aufführen wollte. Und es passt natürlich, dass mit dem Orchester schon länger bekannten Andrew Manze ein geigender Dirigent (oder dirigierender Geiger?) auf dem Podium Aufstellung genommen hat.

Wie der Namen schon sagt, wurde Respighi, der gern (siehe die römische Trilogie, aber auch die Antiche Arie e Danze oder den Trittico Botticelliano) mit älteren Musikstilen zitierend umging, für das 1921 komponierte Konzert von gregorianischen Melodien und Kirchentonarten beeinflusst.

Leise legt das hörenswerte Werk los, sanft steigt daraus Zimmermanns Stradivari-Klanglinie empor, entfaltet sich rhapsodisch. Die durchaus problematische Kirchenakustik gibt so dieser Musik ein leicht verschwimmendes, weiches Sfumato. Was ihr gut ansteht. Um so strahlend klarer heben sich die Solokadenzen ab, die Frank-Peter Zimmermann mit schönster Hingabe spielt.

Das bereits ist ein sensibles Farbenspiel, zwischen dem Zimmermann sein kontraststarkes Stimmungsspektrum entfaltet. Manze hebt die Momente musikalischen Impressionismus im Orchesterklang heraus; beginnend mit einer weitgespannten Melodie über stehenden Akkorden der hohen Streicher; ebenso das siciliano-artige Thema. Im Schlusssatz wird die Antiphon Salve Regina variiert, bis es mit großer Emotion endet. Bachs h-Moll Partita hat Zimmermann als Zugabe dabei.

Dem Ort angemessen geht es für Andrew Manze auch mit flotten Tempi durch die oft atemlose Bruckner-Erste. Vieles klingt aus den späteren Werken vertraut, schlüpft hier eben unschuldig aus dem Ei der Erfindung, muss sich aber erst noch schlüssig entfalten. So präsentiert Andrew Manze die Möglichkeiten eines Experimentalsalons, stellt oft neutral aus, zeigt aber deutlich das Komponistenbesteck auf, das sich noch verfeinern wird.

Geruhsam breitet er die Marschrhythmik des ersten Satzes aus, alles soll sich nachvollziehen lassen, nur wenig verschwimmt im diffusen Klang, Holzbläser und Hörner schwingen in gelassener Achtelbewegung. Genussvoll überlagern sich die Gesangsthemen, um zu einem Gedanken zusammenzufinden. Die Lyrik des zweiten Satzes entfaltet sich am schönsten in den das dritte Thema begleitenden Sechzehntelfiguren – bis sich alles in Dreiklangsbrechungen auflöst und Dur-Akkorde im Pianissimo enden.

Wild und hitzig gerät das Scherzo, aber Manze domestiziert es gekonnt. Er genießt das verhaltene Trio der Hornrufer über Streicher-Staccati. Und auch der laut anhebende Schlusssatz gerät nie außer Facon, die kultivierten Musiker wissen, wie der in einer Kirche anzugehen ist.  Alles Drängende und Wilde wird von Andrew Manze im Zaum gehalten, und trotzdem klingt es erhebend, scheint in dem hohen Raum stets nach oben zu schweben, selbst im fugatoartigen Furioso. Bis es im Streicherostinato nach mehreren Ritardandi zum herrlichen Abschluss in divinem C-Dur-Fortissimo kommt. Großer, sich steigender Beifall. Und bald schon sind die Bamberg wieder da – am 13. und 14. Juni mit Jörg Widmann als Klarinettist wie Dirigent. Im Kaisersaal spielen sie Musik von Weber, Korngold und Mozart.

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