Fade Regie, interessante Partitur: Die Potsdamer Musikfestspiele bleiben mit Steffanis „Orlando Generoso“ etwas unter ihrem Opernniveau

Fotos: Stefan Gloede

Nein, einem Mann hätte man sicher nicht durchgehen lassen, dass er zum eh schon etwa zähen Opernende hin, andauernd blutiggeschlagene Frauen immer und immer wieder auf eine Tischplatte deppert, sie brutal schubst, stößt und als Objekte missbraucht. Aber weil hier mit Jean Renshaw eine Frau am Inszenierungswerk ist, wird das bravorufend durchgewunken. Wobei ihr auch sonst nicht viel eingefallen ist, und sich der Regiequalitätsverlust bei den auch in dieser Hinsicht einst superben Musikfestspielen Potsdam Sanssouci erschreckend weiter in der Abwärtsspirale nach unten dreht.  

War schon das Jalousie-Rauf-und-Runter bei Grauns „Adriano in Siria“ letztes Jahr fade, ebenso die technoiden Arrangements bei Carlo Pallaviccino und Giuseppe Sarlatti oder das dürftig historisch informierte Herumgestehe bei Telemanns  „Pastorelle en musique“, so konnte auch dieses Jahr das höchstens halbszenische Arrangement von Agostino Steffanis „Orlando Generoso“ so gar nicht gefallen.

Gut, dieses Jahr muss – schon wider und für viel zu lange Zeit – auf das Schlosstheater von Friedrich dem Großen im Neuen Palais verzichtet werden, weil dort fünf (!) Jahre lang ein Aufzug eingebaut wird. Aber das nach wie vor etwas ruinöse Orangerieschloss von Friedrich Wilhelm IV. hat schon mehrmals als Ausweichquartier gedient, und in deren weitläufigen Pflanzenhallen als Palmenwinterquartieren ließ sich schon des Öfteren Barockoper geschmack- wie phantasievoll aufbereiten.

Von den vielen, immer noch beinahe namenlosen Komponisten jener Zeit, die hier regelmäßig als Spezialität neubeleuchtet werden, gesellte sich also 2025 der geheimnisvolle Sänger (wohlmöglich: Kastrat), Komponist, Diplomat und vielleicht auch Spion Agostino Steffani (1645-1728) hinzu. Der wurde im Veneto geboren, wirkte in München, Hannover, Düsseldorf, Rom und Brüssel, starb in Frankfurt, wo er im Kaiserdom begraben liegt. Als wichtiges Bindeglied zwischen Carissimi, dessen Schüler er war, Scarlatti und Händel hatte er sein Eckchen in der Musikgeschichte.

2012, im damals schon 26. Karrierejahr, präsentierte Cecilia Bartoli im Schloss Schleißheim bei München ihr Steffani-Konzeptalbum „Mission“ (das mit dem Glatzen-Cover) als rauschhaftes Event aus Konzert, Dinner und Feuerwerk, wo sie zu guter Letzt auch noch im grünrosa Dirndl ein Bierfass anzapfte. „Dieser mysteriöse Mann ist meine Mission“, sagte sie damals. „Und zwar eben nicht nur mit seinen Kammerduetten, für die er bekannt war, sondern auch mit seinen wunderbaren Opernarien, die keiner mehr angerührt hatte. Die von echten, großen Gefühlen künden, auf sehr besondere Weise zwischen italienischem, deutschem und französischem Barockstil vermitteln.

Zudem enthüllte sich da auch noch ein unerhört abenteuerliches Leben zwischen Italien, Deutschland und Frankreich, zwischen Kirche und Hofdiplomatie, als Missionar des Katholizismus in protestantischen Landen, als möglicher Mitwisser in der tragischen Königsmarck-Mordaffäre, wo zwei Liebende sich mit seinen Operntexten in ihren Briefen liebkosten, bis hin zu seinem Nachlass, der im Vatikan verschwand und erst in den Neunzigerjahren wieder zugänglich war.“

In Hannover hatte freilich schon Herbert Wernicke 1989 seinen „Enrico Leone“, also „Heinrich der Löwe“ ausgegraben; das Stück, das Steffani 300 Jahre zuvor für die Eröffnung der dortigen Schlossoper komponiert hatte.  2016 hatte es Agostino Steffani dann auch wieder mal nach Berlin geschafft – René Jacobs dirigierte in einer szenischen Anrichtung von Ingo Kerkhof im Schiller-Theater „Amor vien dal destino“. Was frei übersetzt bedeutet, dass die Liebe eine Himmelsmacht ist.

Und das hörte man auch! Wenn die Paare ihr Liebes(un)glück besangen, blitzte hier und da schon eine Ahnung vom kommenden Mozart auf. Dann ging es nicht nur um kunstvoll gedrechselte Koloraturen, sondern dann klang das unter dem souveränen Zugriff von Jacobs bereits barocküberwindend beseelt. Der hat das Stück, das auf Vergils „Aeneis“ fußt, auch mutig von einigem Rezitativsalat ausgesprochen gut. Nachhaltig für eine Steffani-Reniassance wirkte das aber nicht.

Also startete jetzt die dirigierende, diesmal auf die Flöte verzichtende Festivalprinzipalin Dorothee Oberlinger für „Orlando Generoso“, den vielfach, vor allem von Händel und Vivaldi packend vertonten Sagenstoff des rasenden Ritter Roland nach Ariost, praktisch wieder bei Null. In der Orangerie hat Ausstatter Alfred Peter den 1691 ebenfalls in Hannover uraufgeführten Dreiakter eher spartanisch eingepasst. Man soll zwar zwischen zwei mit „In“ und „Out“, später ähnlichen asiatischen Schriftzeichen versehenen nüchternweißen Stellwänden die extra ausgeleuchtete Enfilade der wie ein Barockkulissenset eingestellten Ionischen Säulen als Weg ins Unendliche sehen. Aber das spielt keine Inszenierungsrolle, zumal es durch die Musiker und ein Tischpodest mehr als nur halb zugestellt ist.

Zwei schwarze Standardstühle und zwei schnell enervierende, die Türen hochkletternde und über den Tisch hechtende Grotesktänzer (Martin Dvořák und Katharina Wiedenhofer), die zu aus andere Steffani-Open entlehnten Tanzmusiken auch als Folterknechte wirken und mit zunehmenden Wiederholungszwang nerven, mehr gibt es nicht zu sehen. Doch, ausgesprochen hässliche Kostüme und uninteressante Uniformen.

Also bleiben allein Musik und Gesang, aber Dorothee Oberlinger und ihr kleines, wackeres Orchesterchen Ensemble 1700 sind eben doch nicht René Jacobs und seine Spitzenmusiker. So wird der zwar in seiner Arienanlange durchaus originelle, mit vielfältigen Duetten und etwas zu vielen Lamenti aufwartende, mit fein genutzten Soloinstrumenten aufwartende Steffani irgendwie dynamikglattgebügelt. Es wird einfach zu wenig variantenreich, zugespitzt und fantasievoll dirigiert, um diesen Kleinmeister wirklich interessant zu machen. Und die schlecht geführten, sich hölzern im immergleichen Arrangement vorhersehbar bewegenden Sänger machen leider die so kaum spannende Handlung auch nicht plastischer.

Mit weicher Countertenorstimme und braver Beamtenanmutung vermag bereits der kaum mehr als korrekte, austrahlungsarme Terry Wey als Titelheld Roland-Orlando nur wenig zu fesseln. In seiner braunen Uniform wird er herumgeschubst, verliert sich in wie beim „Tatort“-Profiler an die rechte Wand gepinnten Fotokopien seiner Angebeteten, der gar nicht chinesischen Prinzessin Angelica (die sopranhelle Hélène Walter). Die wiederum macht auch Medoro (anständig agil: Natalia Kawalek) und Ruggiero (der angenehme, durchschlagkräftige Countertenor Morten Grove Frandsen) schöne Augen. Da wird dauern wild mit der Pistole gefuchtelt, auch geschossen, aber alle Toten stehen in diesem uninspirierten Narrativ wieder auf. Es muss ja zum eher grämlichen Lieto fine reichen, bei dem sich dann sogar Ruggiero von Bradamante (kühl: Shira Patchornik) trennt.

Die Bösen sind hier der unangenehme Atlante (bassbaritonschlank: Sreten Manojlovic) und Angelicas Vater Galafro (noch ein flexibler Counter: Gabriel Díaz). Aber auch deren Dauerränke gegeneinander und gegen alle anderen machen schnell keine Angst mehr. Musik und Inszenierung haben sich eigentlich nichts zu sagen, die eine stößt eher ab, die andere ergreift momentan, hat aber wenig Nachhall. Agostino Steffani wird auch so nicht zu retten sein…

Radioausstrahlung am 13. Juli im Rahmen des ARD-Radiofestivals

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