Queer as Folk: Dmitry Sinkovsky und Calixto Bieito gelingt in Zürich eine tolle Wiederbelebung von Cavallis visionär geschlechterfluidem „Eliogabalo“

Fotos: Monika Rittershaus

Ein römischer Kindkaiser aus Syrien in einer frühvenezianische Opera Seria. Francesco Cavalli komponierte „Eliogabalo“ 1667. Das Werk kam aber damals nie heraus, das Libretto über den mindeste bisexuellen, Frauenkleider tragenden, nach heutigen Begrifflichkeiten wohl queeren Imperator war selbst für die Freizügigkeit der Serenissima zu schlüpfrig; außerdem galt Cavallis Opernstil, immer noch ein textnahes Recitativo, bereits wieder als altmodisch.

Erst 1999 wurde der Dreiakter im Teatro San Domenico in Crema uraufgeführt, die Welt nahm davon dann 2004 in einer Brüsseler Premiere unter René Jacobs und in der öden Regie von Vincent Boussard Notiz. Seither wurde das Werk öfter nachgespielt, am spektakulärsten 2016 an der Pariser Opéra mit Franco Fagioli, Paul Groves, Valer Sabadus und Nadine Sierra. Leonardo García Alarcón hatte dort das nur für fünf Instrumentalisten (in den privaten Theatern Venedig sparte man notorisch am Orchester) konzipierte Stück großzügig üppig instrumentiert.

Bunt klingt es jetzt auch an der Oper Zürich, wo sich das Werk wunderbar in den lebendigen Barockspielplan mit dem hauseigenen La Scintilla-Orchester einfügt. 34 Musiker sind aufgeboten, es erklingen neben den Streichern auch Flöten, Zinken, Dulcian, Sackbutt, Harfe, Cembalo, Orgel, Theorbe, Barockgitarre, Erzlaute und vielfache Percussion. Der mitreißende, schon im Präludium tempogewitzt swingende Dmitry Sinkovsky freilich dirigiert nicht nur souverän abwechslungsreich und keinen Moment der auf etwas über drei Stunden sinnvoll gekürzten Spielzeit langweilig, er spielt auch ein Geigensolo und eröffnet nach der Pause den dritten Akt mit einem kontemplativen Countertenor-Arioso aus „Artemisia“, einer anderen Cavalli-Oper.

Der Abend packt vom ersten Moment an, das begeisterte Publikum geht intensiv mit. Weil die Musik stark und auch in ihrer Reduziertheit abwechslungsreich ist, die Story dramaturgisch sinnig erzählt wird. Cavalli, Schüler von Claudio Monteverdi, versuchte, dessen Erfolg mit „Der Krönung der Poppea“ als antikem „Denver-Clan“ zu wiederholen – am Beispiel einer der am übelsten beleumundeten Imperatoren. Der steht außerhalb eines amourösen Vierecks, bis darin am Ende doch die Gefühle siegen. Insgesamt gibt es in Calixto Bietos bewährt drastischer, aber eben auch kühl-dichter Inszenierung sogar sieben verschiedene „Liebes“-Konstellation. Wirkliche Sympathie empfindet man freilich mit keiner davon. Jede ist mehr oder weniger toxisch. Trotzdem folgt man willig in den triebgesteuerten Emotionsdschungel dieser virtuos aufgedrehten amourösen Musiktheater-Intrigen.

Bieito und seine Co-Bühnenbildnerin Anna-Sofia Kirsch beschränken sich auf wenige Bildsymbole. Das ist ein zunächst mit milchiger Plastikfolie verhängter Kasten als Kaiserpalast, der schnell als Ausstellungskäfig dient, später ein kahles Gerüst inmitten der Bühnenschwärze. Dann ist da das helle, sachliche Holzrund des Frauensenats, in dem Heliogabal selbst im Kleid auf vergebliche Opferjagd geht. Bis sich zum ersten Finale ein Neongitter über den Beteiligten vom Plafond herabsenkt.

Nach der Pause arbeitet Bieito (die zeitgenössischen Anzüge der oft halbnackten Männer und die glamourös schillernden, über die wahre Verfassung ihrer wütenden Trägerinnen hinwegtäuschenden Frauenkostümen sind von Ingo Krügler) in zwei kleinen Kabinetten mit sattsam von ihm bekannten Macho-Requisiten: links schwingen sich die Frauen auf eine zunächst von der Decke hängenden Luxusmotorad, rechts umschmeichelt Heliogabal eine schwarze Stierattrappe. Am Ende steht der sich selbst entmannt habende Kaiser sterbend im blutigen Hochzeitskleid in einem an der Rampe hochgefahrenen Käfig und starrt herausfordernd ins Publikum.

Der weibische Herrscher ist ein Countertenor, Yuriy Mynenko singt ihn fies, aber mit Würde, verführerisch und abstoßend zugleich. Ein lauernder, ewig misstrauischer auch unsicherer Diktator. Deshalb brandgefährlich. Er tritt sitzend erstmals auf, die Hose in den Knien, denn gerade hat er Eritea vergewaltigt. Siobhan Stagg tremoliert im Furor ihrer Wut, will sich einerseits von ihm heiraten lassen, um den letzten Rest ihrer Würde zu wahren. Anderseits liebt sie aber immer noch Giuliano (hier ein dunkler, butchiger Mezzo – Beth Taylor), der der Täter am liebsten töten würde.

Das nächste Opfer von Heliogabal ist die Patrizierin Gemmira, die sich ihm allerdings immer wieder geschickt entzieht. Anna El-Kashem gibt hier mal nicht nur süßes Sopranmädchen, sondern eine wilde, störrische Frau, die sich vehement zu wehren weiß. Und am Ende als Gefährtin von Alessandro Cousin und Rivale des Kaisers (auch ein Counter: der ausdrucksstarke David Hansen), zur neuen Herrscherin Roms aufsteigt.

Dann ist da noch die nymphomanische Attilia (leidenschaftlich, auch vokal zartfühlend: Sophie Junker), die ebenfalls hinter Alessandro her ist, der aber nichts von ihr wissen will. Heliogabals Vertrauter Zotico (mit manchmal angestrengtem, aber intensivem Tenor: Joel Williams) ist hier ganz eindeutig der Geliebte des Kaisers, den dieser aber auch als Lustobjekt vor den Frauen in knappen Unterhosen posieren lässt. Amme Lenia (frühbarocküblich mit einem grellen Charaktertenor besetzt: hier der tolle Mark Milhofer als alternd spießige Drag Queen), hat ebenfalls einen ausgelaugten Lover, den basssatten Nerbulone (Daniel Giuliani).

Es wird nie langweilig, weil die Geschichte abwechslungsreich und sehr direkt erzählt wird. Die Sänger, vollends eins mit dem schnörkellosen, aber schlüssigen Regiekonzept, gestalten dieses Auf und Ab der widerstreitenden Empfindungen unmittelbar und dicht. Die musikalische Mischung aus langen Rezitativen und sanglichen Momenten ist so fesselnd gestaltet, dass der Erzählfaden nie abreißt. Das ist in seiner immer wieder überraschenden Geschlechterfluidität so packend wie zeitgenössisch. Und wird in seiner szenischen wie musikalischen Umsetzung vom vollen Auditorium in der letzten Vorstellung für Zürcher Verhältnisse berauschend bejubelt.

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