Die Meghan Markle der Renaissance: Die Genfer Donizetti-Trilogie schreitet mit „Maria Stuarda“ hervorragend voran

Fotos: Monika Rittershaus

Eine Primadonna macht schon einen Belcanto-Sommer. Aber gleich zwei, Königinnen noch dazu, in einer einzigen Oper, die sich wie die Katzen befauchen, gipfelnd in jenem famosen ersten Finale, wenn Maria Stuart statt für Frieden zu sorgen, Elizabeth, ihrer Rivalin um dem englischen Thron, der „unreinen Tochter der Boleyn“, verachtungsvoll „Bastarda“ entgegenschleudert –  das ist ein Fest nicht nur für die Freunde der italienischen Oper, für Divenflüsterer, Zickenkrieg-Liebhaber und Fans der Golden Girls wie Frauen weit über dem Rand des Nervenzusammenbruchs. Kein Wunder also, dass Gaetano Donizettis „Maria Stuarda“ so berühmt ist.

Berühmt, ja berüchtigt war freilich immer auch schon die seltsame Entstehungsgeschichte  dieser Oper: 1834 sollte das Melodrama nach Friedrich von Schillers Stück am Teatro San Carlo in Neapel herauskommen. Schon die Proben müssen ein Desaster gewesen sein. Als dann noch die Königin beider Sizilien, Maria Christina, in der Generalprobe, von der finalen Beichtszene ergriffen, das Bewusstsein verlor, schritt die Zensur ein und verbot das gefühlsgefährliche Werk.

Nur Wochen später kam es gleichwohl – Donizetti war geschäftstüchtig und ließ (fast) nichts verkommen – mit einem neuen Text als „Buondelmonte“ heraus – und floppte. Am 30. Dezember 1835 wurde die „Stuarda“ dann doch noch unter ihrem Originaltitel an der Mailänder Scala erstmals gegeben. Doch da sowohl der Star, Maria Malibran, als auch die Elisabetta indisponierte waren, wurde die Oper wieder nur müde durchgewunken; kurz danach starb die Malibran erst 28-jährig.

Die „Maria Stuarda“-Originalfassung für einen Mezzo (wohl das Stimmfach der Malibran) in der Titelrolle erblickte erst 1958 an Donizettis Geburtsort Bergamo neuerlich das Licht der Bühnenwelt, doch schnell entwickelte sie sich zum saftigen Divenduell der berühmtesten  Belcanto-Nachtigallen. 1980 tauchte dann schließlich in Schweden das Urmanuskript für zwei Soprane wieder auf.

Auf Youtube findet sich eine wunderbare Best-Of des Chick Fights zwischen den hassspeienden Regentinnen, und alle legendären Primadonnen-Namen sind dabei. Als letzte Addition müssten jetzt Elsa Dreisig und Stéphanie d’Oustrac sich anschließen. Zwei eher seltene Namen in diesen stilistischen Gefilden, aber das Grand Théâtre de Génève hat auf genau sie, die jugendlich-mutige Universalistin, die sich schon bis zur Salome vorangetastet hat sowie die Barockspezialistin gesetzt, um so seine voranschreitende Donizetti-Trilogie der Tudor-Königinnen vokal zu würzen.

Dort ist man – nach „Anna Bolena“ im letzten Jahr – jetzt bei „Maria Stuarda“ angekommen. Von den Sängern ist zudem neuerlich Edgardo Rocha dabei. Und die Produktionsköche sind ebenfalls fast alle wieder an Musiktheater-Bord: Regisseurin Mariame Clément, Ausstatterin Julia Hansen, Choreograf Mathieu Guilhaumon und Lichtdesigner Ulrik Gad. Nur Dirigent Stefano Montanari kam „aus persönlichen Gründen“ abhanden. Statt seiner steht jetzt der jungen Andrea Sanguineti, neuer Musikchef der Essener Aalto Oper, am Pult des Orchestre de la Suisse Romande.

Und er macht da weiter, wo es begonnen hat. Das in diesen Belcanto-Klängen eher selten gebrauchte Orchester lässt sich historisch informiert führen. Es klingt nicht so dynamisch kontrastreich wie das letzte Mal, doch es ist ein weicher, rhythmisch akzentuierter italienisch romantischer Musikfluss, der sich hier vernehmen lässt, zusätzlich verziert mit Cembaloakkoladen.

Wieder stehen da grünblaue Wände, die sich wie ein Adventskalender auf eine zweite Bühne öffnen, viel Spiel auf der Vorbühne, wie schnelle Verschiebungen erlauben; Waldprospekte und Bäume stehen gleichzeitig für Innen wie Außen. Ein atmosphärischer Raum, keine konkrete Schlosskulisse. Hat Maria im Park von Schloss Fotheringay ihr „Bastarda“ abgefeuert und damit ihr eigenes Todesurteil beschlossen, wird hinten totes Wild vorbeigetragen. Das geschah auch schon ähnlich in „Anna Bolena“.

Analog beginnt es auch zur dunkel glühenden Ouvertüre mit einer Rückblende der alten, vorne stehende Elizabeth, die rechts an einem Schreibtisch mit Telefon die Regierungsgeschäfte führt, auf die Hinrichtung ihrer Mutter Ann Boleyn; sie selbst steht als Kind daneben. So wird dann ebenfalls „Maria Stuarda“ enden, auch wenn diesmal die selbstbewusste Maria als eine Art Reinheitsengel der Katholiken in weißer Robe allein nach hinten wegschreitet.

Diese junge Elizabeth wird auch im Folgenden auftauchen, besonders dann, wenn die wie eine Meghan Markle der Renaissance sich als mit allen PR-Wassern gewaschene Influencerin und Panzerfaust gegen die Tudor-Royals inszenierende Maria Stuart propagandawirksam ihren Sohn, als James I. Nachfolger von Elizabeth vor die Kameras eines Medienteams hält. Reiz der Oper: Hier haben, man spielt die Originalfassung, die Sängerinnen die Roben wie Positionen getauscht. Stephanie d’Oustrac ist jetzt die Primadonna Maria, Elsa Dreisig von der Mutter Anna zur Tochter Elizabeth gewechselt. Deren Kleider kann sie dann für „Roberto Devereux“ in der nächsten Genfer Saison gleich anbehalten. Die Oustrac freilich wird ihre dann ebenfalls folgende Hofdame Sara vorher schon in Zürich ausprobieren, wo man auch kürzlich eine Tudor-Trias komplettiert hat.

Ästhetisch und intelligent sind auch jetzt wieder die Genfer Arrangements von Mariame Clément – samt der kostümlich inkorrekten Wiederhaken. Elizabeth, die jungfräuliche Königin, wird im Gegensatz zur Tradition auch stofflich als jener Kerl gezeichnet als der sie regierte: mit kurzgeschorenem Feuerhaarkopf, Pluderhosen und Stiefel, einer harnischartige Bluse über die wirklich eine Blechhülle geschnallt wird; mehr Page denn Königin, unsicher, aber sturköpfig. Maria mit langem, offenem Haar hingegen macht immer weiblich bella figura, selbst wenn sie im Mantel mit dezentem Schottenkaro vor Elizabeth knien muss.

Auch stimmlich sind beide Damen jetzt bei Donizetti zu Hause. Die Dreisig mit silbrigem Sopranstrahl, hier sehr komfortabel in der zweiten Reihe, die die Elisabetta auch nicht über Gebühr fordert. Die Oustrac ziert ihre Koloraturen sehr feinfühlig aus, die Stimme klingt runder, in allen Registern ausgeglichen. Beide werden auch kurz mal zur Megäre, aber insgesamt geht es temperamentdezent singend zu.

Nicht viel zu melden haben die Herren in dem genreüblichen Libretto-Verwickelungen zwischen Politik und Liebe, die sich mal zu weltgeschichtlichen Heiratsplänen für die Britin zwirbeln oder zu deren Entscheidung über Wohl und Weh, Verdammung oder Verzeihung gegenüber der Schottin verdichten. Der zwischen zwei Lieben (ver)zweifelnde Tenorino Leicester ist beim geschickt beide umschmeichelnden Edgardo Rocha wunderbar aufgehoben, mit weichem Timbre und immer noch zart metallischem Höhenklang. Nicola Ulivieri (Talbot) wie Simone Del Savio (Lord Cecil) bleiben kausal wie vokal in der zweiten Reihe.

Höchstens der intensive Chor schiebt sich nicht nur szenisch in den Vordergrund, wenn er beobachtend, kommentierend, schubsend dran ist. Gute Donizetti-Voraussetzungen also für den finalen „Roberto Devereux“ in Genf: Nächstes Jahr, gleiche Zeit!

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