Sie gibt ihm Glanz, er gibt ihr Tiefe: Yuja Wang und Vikingur Ólafsson auf begeisternder Duo-Tour

Yes, sie liebt es nicht nur in extrovertierter Ministoffausstattung und höllischen High Heels aufs Podium zu stöckeln. Yuja Wang, inzwischen 37, vom Gehabe her aber ewiges Teenie-Girlie (freilich die aufreizende Version) und klavierspieltechnisch eine sehr alte, erfahrene Turbotastenseele, mag auch die musikalische Herausforderung durch spielende Partner. Und je nerdiger, desto besser.

Sie hat es schon mit dem griechischen Langhaar-Geiger Leonidas Kavakos zu Brahms getan (funktionierte als sich anziehendes Gegensätzliches, auch auf CD), den nicht nur netten Bariton-Nerd Matthias Goerne bei der Liedarbeit begleitet (funktionierte gar nicht), den Noch-Cellisten und Dirigenten Klaus Mäkelä neben anderem im Forellen-Quintett(inzwischen wieder getrennt von Podium wie Bett) und sich jetzt den Klosterschüler Vikingur Ólafsson, frisch nach seinem „Ich bin dann mal weg“-Goldberg-Variationen-Jahr für ein  glamourös-schräges Teilzeitklavierduo gecatcht. Und oftmals begann das alles bei inoffiziellen Deutsche-Grammophon-Musikantengipfeltreffen in Verbier.

Wang und Ólafsson, die beiden sind als Klavierduo zwar nicht so lässig professionell wie die smarten Jussen-Brüder als dauerlächelnde Käsejungs aus Holland, aber die Chinesin aus New York und der in Berlin gezeugte (erzählt er sehr gern) Isländer haben á deux gerade Wien, Zürich, München, Hamburg, Berlin (mit Stage+ Aufzeichnung der DG) und London verzückt. So dass man – wie einst Hollywood-Ikone Katherine Hepburn über Ginger Rodgers & Fred Astaire sagte: „Sie gab ihm Sex, er gab ihr Klasse“ – ausrufen möchte: Sie gibt im Glanz, er gibt ihr Tiefe.

Er spielt aus Noten, sie vom IPad. Er tönt tief, versonnen, philosophisch, sie quirlt, streut Sternenstaub oder traktiert die Tasten wie Porschemotokolben. Den Denker und die Motorikerin, der Philosoph und Pragmatikerin. Aber so einfach ist es nicht. Die Eule und das Kätzchen. Doch sie jagen nicht einander, sondern lernen aus ihren Unterschieden.

Da mögen sich zwei. Da spricht schon die an sich völlig unkoordinierte, dabei charmante Körpersprache Bände, doch im Spiel geht es dabei höchst koordiniert und extrem spannungsvoll zu. Und weil man sich schon nicht einigen konnte, wer am Pedal sitzt, spielt man selbst die großmächtige, vierhändige Schubert Fantasie f-moll an zwei Klavieren, nur bei der fünfte Zugabe (nach Märschen, Walzern, Ungarischen Tänzen) des jazzig angehauchten Sowjetkomponisten Alexander Zfasman, nehmen sie auf einer einzigen Klavierbank Platz – und kuscheln sogar. Die ausverkaufte Berliner Philharmonie tobt.

Und man gibt der Menge, was man ihr schuldet, auch je zwei Outfits, die eine offenherzig, der andere stets mit Krawatte – aber beide nonchalant und locker. Luciano Berios Wasserklavier aus Six Encores dient entschieden zum Einspielen, der attacca sich anschließende Schubert setzt interessante Akzente und Temporückungen. Beide reagieren hypersensibel auf den jeweils anderen, nie ist klar, wer eigentlich führt. Er spielt ein sonores Unten, bietet viel Variantenreiches an, was sie nicht immer aufnimmt. Dafür glitzert sie wundervoll zart im Diskant, wie auf dem Wasser schwebend. Aber im nächsten Moment kann die Balance auch umkippen, was den Abend sehr spannend macht. Klavierspiel mit Suspense, sozusagen.

John Cages Experiences I und Conlon Nancarrows Study No. 6 werden nach dem gewaltigen, in einer nervenzerrenden Generalpause gipfelnden, die Extrem auslotenden Schubert zart und leise abgehakt. Doch die gleißend repetitiven Akkordketten von John Adams‘ Hallelujah Junction spielen sie glorios kraftvoll und einander vorantreibend. Nach der Pause ist Arvo Pärts zarte Hymn to a Great City ein sehnsuchtsvolles “Verweile doch…“, bevor sie mit raubkatzengewandter Brillanz und analytischer Schärfe in Sergej Rachmaninows Sinfonischen Tänzen als Hauptwerk dieses so achtsamen, wie einwickelnden Abends eintauchen. In seiner eigenen Einrichtung war das immer schon ein Party-Piece für die Klavierlöwin Martha Argerich und ihre wechselnden Partner.

Und beide stellen jetzt vor allem Rachmaninows Modernität aus, seine Verve, seine Bocksprünge, seine Vitalität, zwischen denen freilich immer wieder mythologisch abgründige Löcher des Morbiden, der Melancholie brodeln. Ein Ex-Romantiker räumt hier gewaltig auf in der Moderne mit einem Tanzwirbel der mitten im 2. Weltkrieg auf Maurice Ravels hellsichtiges einen anderen Epochenuntergang beschwörenden La valse zu antworten scheint.

Ein sehr besonderer, von einem disziplinierten wie selten diversen Publikum genossener Abend – für die Ohren wie die Augen. Er muss sich anstrengen, sie muss sich sensibilisieren; was sie beide auf das Schönste, Erfüllendste getan haben. Yuja Wang und Vikungur Ólafsson: bitte wieder!

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