Manchmal kann Konzertplanung ganz schön tricky sein, obwohl sie sich so einfach liest. Zum Beispiel: Die tourneeerprobten Bamberger Symphoniker geben in rascher Reihe fünf Konzerte in zweimal Graz, je einmal Wien, Lujubljana und Zagreb. Mit Danill Trivonov und einem eher ungewöhnlichen Programm: die Vierte Beethoven, ein Lieblingsstück von Chefdirigent Jakub Hrůša, der erstaunt ist, dass es selbst von diesem Komponisten noch eher selten gespielte Sinfonien gibt.
Dazu sind Sergej Rachmaninows hörbar von seinem Hauptwohnort Los Angeles in ihrem swingend-improvisatorischen Gestus beeinflussten Variationen über ein Thema von Paganini programmiert. Die er freilich 1934 in wenigen Wochen in seinem herrlichen Sommerhaus Villa Senar am Vierwaldstätter See komponierte – das seit kurzem auch für kleine Konzerte öffentlich zugänglich ist. Und als nachdenklichen Rausschmeißer die dreiteilige Rhapsodie über den Gogolschen Novellenhelden Taras Bulba, die Leoš Janáček nach einem komplexen Kompositionsprozess zwischen 1915-18 erst 1921 in Brünn uraufführen ließ.
Die Orte, vor allem die Hauptstädte Sloweniens und Kroatien, standen länger (Zagreb sogar ganz lange) nicht mehr im üppigen Reisekalender der Bayerischen Staatsphilharmonie aus Franken verzeichnet. Wichtig war natürlich auch, dass sie für den Janáček eine ordentliche Orgel anzubieten haben. Aber besonders der genialische, aus Russland stammende, längst bei New York lebende Pianist Daniil Trifonov, der zum zweiten Mal mit den Bambergern auftrat, wollte unbedingt wieder einmal dorthin reisen, wo er sich zwar schon vor einigen Jahren mit Rezitalen vorgestellt hatte, aber noch nie mit Konzerten zu hören gewesen ist.
Denn selbst ein Star hat nicht immer nur Lust auf die berühmten Hallen und Festivals, möchte die Vibes eines anderen, weniger verwöhnten Publikums spüren. Und obwohl er nach jedem seiner begeisternden, sofort die Menschen aus den Sitzen hebelnden Paganini-Performances plus immer unterschiedlichen Zugaben von Art Tatum über Bach-Rachmaninow bis einem Walzer aus der Heimat seiner Frau, der Dominikanischen Republik, schnellstens und scheu das Podium verließ, man spürte doch, wie sehr er die Aufführungen an solchen Orten genossen hat.
Fünf Orte, fünf Konzerte, drei Werke – und trotzdem ein äußerst komplexes Puzzle für Planung und Logistik. Einerseits spielen die Bamberger gerade für die Deutsche Grammophon die Sinfonien Bohuslav Martinůs ein, die diese noch nicht in ihrem Katalog hat, das geschieht oft zwischen anderen Konzerten, auch wenn etwa zwischen dem 27 und 29. September dreimal dessen Dritte auf Programmen zu Hause wie in der Alten Oper Frankfurt auf dem Programm stand. Am 6. und 7. Oktober waren dann in Bayreuth und Bamberg die 4. Beethoven sowie Antonín Dvořáks äußerst rares Klavierkonzert mit dem Solisten Ivo Kahánek zu hören. Was hat es freilich mit dem Dvořák auf sich? Kommt noch.
In Bamberg folgten am 12. und 13. Oktober erstmals der Janáček und der Rachmaninow mit dem Solisten Behzod Abduraimov – sowie Josef Suks sinfonische Dichtung „Zráni“ – „Lebensweisen“. Auch darüber später. Immerhin, die drei Tourneestücke plus zwei weitere sind nun erstmal vom Orchester präpariert bzw. poliert worden. In Bamberg stehen nur noch Kammer- und Familienkonzerte sowie ein Orgelrezital an, dann geht es auf die Tour. Der 21. Oktober ist Anreisetag, ökologisch korrekt mit dem Zug, während Instrumente und Frackkisten während der ganzen Tour per Laster reisen. Am 22. gibt es noch eine dreistündige Vormittagsprobe, der aus New York nach einem Soloabend in der Carnegie Hall angereiste, mit einem fetten Jetlag kämpfende Daniil Trifonov muss schließlich noch mit dem bereits mit Rachmaninow warmgewordenen Orchester die Paganini-Variationen fixieren und polieren.
In Graz gibt es offenbar, auch dort ist ein Musikverein, der Veranstalter, genügend Publikum für zwei Konzerte mit identischem Programm im immerhin 1100 Zuschauer fassenden historistischen Stefaniensaal. Auch das Wiener Konzerthaus, wo man nach einem kurzen Reisetag im Zug am 23. am 24, spielt, ist brechend voll, sogar die Orgelplätze auf der engen Bühne wurden verkauft. Nach Ljubljana geht es am 25. in viereinhalb Stunden mit dem Bus (wieder an Graz vorbei – aber alles auch örtlich auf eine Tourneeperlenkette logisch auffädeln, das geht eben nur selten), nach Zagreb in zwei Stunden und erst ab Mittag am 26. Oktober. Auch dort: alles ausverkauft, großer Jubel, sofortige Wiedereinladung.
Das Orchester fliegt am 27. erst um 15 Uhr nach Frankfurt, dann geht es mit dem Bus nach Bamberg – in die Herbstferien. Jakub Hrůša aber gönnt sich eine kleine Auszeit mit der Familie in Griechenland. Daniil Trifonov nimmt sich zwei Ruhetage in Zagreb und fährt dann für einen Soloabend nach Regensburg. Da ist er nicht weit von Bamberg weg, denn dort ist am 2. November Konzert und der Beginn des zweiten Tourteils – mit der 4. Beethoven sowie dem ebenfalls bereits eingeübten Dvořák-Klavierkonzert, das vorher noch mit Trifonov geprobt wurde. Anschließend reisen alle am 3. November erstmals in Hrůšas Geburtsstadt Brünn zum seit 2008 abgehaltenen Janáček-Festival.
Das gewinnt immer mehr an Bedeutung, nicht zuletzt auch durch internationale Gastspiele wie Koproduktionen; wie zum Beispiel dieses Jahr mit der Berliner Staatsoper, die ihre Version der „Sache Makropoulos“ zeigt, wie eine Neuinszenierung von „Die Ausflüge des Herrn Broucek“ dort herausbringt, die erst im Frühjahr 2025 nach Berlin kommt. Jakub Hrůša war bei dem alle zwei Jahre stattfindenden Festival schon 2022 als Dirigent einer spannenden Opernproduktion des mit der Glagolitischen Messe kombinierten „Totenhauses“ dabei; auch 2026 ist mit den Bambergern bereits wieder ein Auftritt geplant. Und extra für Brünn gibt es – nach einer neuerlichen Probe am 4. November – abends, neben dem Dvořák-Klavierkonzert und der Taras-Bulba-Rhapsodie auch wieder das bereits Mitte Oktober in Bamberg präsentierten „Zráni“ von Josef Suk.
Und das hat einen konkreten Grund: In Brünn gab es 1924 ein ganzes „Jahr der tschechischen Musik“, und beim Eröffnungskonzert erklangen anlässlich des 50. Geburtstages von Josef Suk und des 70. Geburtstages von Janáček eben Zráni und Taras Bulba. Daran möchten die Bamberger Symphoniker mit ihrem Prager Gründungshintergrund gerne erinnern.
Dann geht es am 5. November für einen Teil der Musiker weiter nach Linz, wo dann nur noch der Dvořák wie der Beethoven anstehen; freilich mit zwei anderen Zugaben. Waren diese während der ganzen Tour die zwei kurzen, aber effektvoll temporeich zulegenden Ungarischen Tänze Nr. 18 und 21., die wiederum Antonín Dvořák arrangiert hat, so gibt es in Tirol (geprobt in Brünn) das Finale der 7. Beethoven sowie Mozarts „Figaro“-Ouvertüre. In Zagreb hatte man sich für das Hauptprogramm am Anfang zusätzlich ein kroatisches Stück gewünscht. Also wurde erst in der Anspielprobe das wenig Schwierigkeiten machende, etwas kraftlos, melodieselige „Idyll“ von Blagoje (Benito) Bersa (1873-1934) klangfertig geacht, der auch für die Oper „Eisenhammer“ und die Sinfonische Dichtung „Blühende Felder“ verantwortlich zeichnet. So hatte jeder seins.
Und wie waren nun die Konzert. Seht gut – und immer besser. Im Wiener Konzerthaus schon sehr gut eingespielt, die 4. Beethoven überrascht immer wieder mit ihrer Stärke, Klangfülle und Innovation zwischen den der 3. und 5. Sinfonie. Schon 1812 schrieb ein Rezensent, sie sei „mit eben der Originalität und Energie ausgestattet, welche die frühern Productionen seiner Muse bezeichnen, ohne der Klarheit durch Bizarrerien zu schaden“. Jakub Hrůša entwickelt das ruhig und strahlend, seine Tempi sind rasch schlank und geschmeidig ist sein dynamischer Zugriff, Naturtrompeten verstärken die ideale Balance zwischen Tradition und historisch informiert, wie sie heute viele der jüngeren, undogmatischeren Dirigenten pflegen. Das Orchester hat Spaß, blüht auf, verschießt aber nie in der ersten Hälfte sein Pulver.
Schließlich fordert auch die zweite Hälfte enorm. Rachmaninows Paganini-Variationen besitzen zwar eine oft nur floskelhafte Instrumentalbegleitung, doch die ist rhythmisch komplex, muss exakt sitzen. Dem Orchester und seinem Dirigenten macht es freilich Spaß, auf den tänzelnd-gewitzten Solisten zu reagieren. Zumal man sich bei Daniil Trifonov auf nichts verlassen kann. Jedes Konzert ist anders, er versucht andere Lösungen, Temporückungen, Pedalhervorhebungen. Immer ist da ein Moment des Improvisatorischen wie Spontanen, auf dem man eingestellt sein muss. Doch das Geben und Nehmen, das Bällewerfen in Tönen, es funktioniert so glänzend wie perfekt. Das funkelt und ist sportive, aber auch melodiöse, elastisch tänzelnde, nie nur virtuos-auftrumpfende Klavierspielfreude pur.
Der „Taras Bulba“, der von viel Tod, Krieg und Untergang erzählt ist dann der heldisch-melancholische Ausgleich. Da wird sein Komponist mal deskriptiv, mal abstrakt, sentimental oder analytisch, spröde oder zart. Bis am Ende der von den Polen gefangen genommene und gefolterte Kosaken-Ataman auf dem Scheiterhaufen seinen Glauben an das ewige Russland bekennt. Ja, auch ein solches Stück mährisch gebrochener Nationalromantik mit russischem Hintergrund muss gespielt werden. Zumal das Werk immer dann, wenn es martialisch werden könnte, der transzendentierenden Orgel als feierlich-himmlischer Stimme den Vortritt lässt. Und es spricht für Jakub Hrůšas feinfühlige Klugheit, ein solch nachdenklich abgemischtes Programm in zwei Länder zu bringen, in denen vor gar noch langer Zeit noch Krieg gegeneinander herrschte.
Jetzt sitzen sowohl im schmucken Ljubljana, im bombenkellersicheren Cankarjev Dom, einem realsozialistischen Riesenbetonkulturhaus von 1973 mit Marmorstrotzendem Foyer und viel verstaubter Textilkunst wie auch im noch erdbebenschädengezeichneten Zagreb im braunstichigen, hangarähnlichen Lisinski-Saal aufgeschlossene Musikliebhaber jeden Alters – und sind aufrichtig begeistert. Über Danill Trifonov brillant-blitzgescheites Klavierspiel, aber eben auch über ein Orchester, bei dem die Symbiose mit dem Chefdirigenten in acht Jahren zu einer selten stimmigen Einheit geworden ist. Und der freut sich, obwohl ab der Saison 2025/26 für ihn der Musikdirektorenposten des Royal Opera Hous Covent Garden an seinem Wohnort London hinzukommt, auf weitere vier, vertraglich fixierte Spielzeiten bis 2029 in Bamberg.
Und so wird für ihn weiterhin neben den regelmäßigen Gastengagements in München (beide Orchester), Berlin, Dresden, Leipzig, Wien (Philharmoniker und ORF Orchester), Rom, London (beim London Philharmonic Orchestra), Cleveland, Boston, New York, Philadelphia, Chicago und Los Angeles Franken wichtig sein und einen besonderen Platz haben. Wie eben auch diese und weitere Tourneen mit den Bamberger Symphonikern. Und man wird sehen, was mit ihm und der Tschechischen Philharmonie (wo er ebenfalls Erster Gastdirigent ist), passiert, wenn, wie angekündigt, dort Semyon Bychkov in zwei Jahren aufhören wird…