Statt Singverbot in Corona-Zeiten auf die Natur hören!

Komische Sachen passieren gerade in der Pandemie, besonders am Theater und in der Oper. Nicht systemrelevant, wir wissen das, deswegen sind auch fast alle zum Nichtstun verdammt, denn die Politik lässt sie nichts machen. Zumindest wenig bis kaum indoor. Als ob das Publikum dort sich so verhalten würde wie bei der Berliner Bootparty vor dem Urban-Krankenhaus oder der lemminghaften Massenwanderung hässlicher Briten an die Strände von Bournemouth. Wie sehnen wir Klassikpuristen uns plötzlich nach Zwischenkommentaren, Hustenbonbonknistern, Taschenkettenklappern und ein wenig unbotmäßigem Handyklingeln! Alles Zeichen von Publikum, von Lebendigkeit. Und auch die gern belächelten Alten, jetzt Risikogruppe Nummer Eins, sie wollen kommen, so gern.

Der eine Intendant jammert und schimpft, Nikolaus Bachler von der Bayerischen Staatsoper vor allem, der das gar nicht hilfreiche Kunstministerium als verlängerten Arm des Gesundheitsministerium sieht. Recht hat er, und er kann auch ungestraft zetern, denn er geht nächsten Sommer, da ist er auf das auch pekuniäre Wohlwollen seines obersten Dienstherren nicht mehr angewiesen. Après moi le déluge!

Barrie Kosky an der Komischen Oper Berlin schimpft hingegen auf die, die klagen und stellt den Spielplan auf Corona um. Statt dem langweiligen, kapitalismuskritischen „Mahagonny“ inszeniert er Offenbachs „Großherzogin“. Mit einem Kerl, der den Säbel von Papa reckt. Und mit bombastischen Fummeln, die jeden Hygieneregler automatisch auf Abstand halten. Warum nicht gleich so?

Haydnsaal Eisenstadt

In der Schweiz hingegen ist alles möglich. Da werden beim sowieso mit einer Übeladministration beleumdeten Orchestre de la Suisse Romande die Solisten für eine Beethoven-Neunte honorarlos ausgeladen, und dann findet das Konzert plötzlich doch statt – mit anderen Sängern, und Arte überträgt diese Schweinerei auch noch. Klar, dass da die Aggro-Armada weitgehen arbeitsloser Stars – Groissböck, Kermes, Volle, auch den Namen seiner Soprangattin kennt man inzwischen – zu Recht gleich wieder ätzt. Zumal wenn man hört, dass sie sich für den Herbst mit schlechteren Verträgen, harten Corona-Klauseln und anderen Daumenschrauben warm anziehen müssen. Warum soll ausgerechnet der Klassikbetrieb plötzlich ein Hort der Gerechtigkeit und Milde sein?

In Luzern fährt das gecancelte Festival nun doch wieder hoch – ein bisschen. „Life is live“, so lautet einer der vielen blöden Ersatztitel, die uns gegenwärtig optimistisch stimmen sollen, aber irgendwie verdammt verzweifelt klingen. Man hat schnell was zusammengekehrt, sogar das Festival Orchestra tritt an, gut für den Nukleus Mahler Chamber Orchestra, der so wenigstens ein bisschen zu tun hat. Und zwei Oldies hat man auch angeheuert, Martha Argerich haut an wieder mal Beethovens Erstes Klavierkonzert weg, und der höchst lebendige, 93-jährige, praktischerweise bei Luzern lebende Herbert Blomstedt gibt sein Orchesterdebüt. Leider nicht dessen Chef Riccardo Chailly, der weiter in der schwer geschlagenen Lombardei verharrt und für Anfang September mit dem Scala-Orchester Verdis Requiem als unerwartet dringliches Totengedenken vorbereitet.

Nicht nur 745 Autobahnkilometer und siebeneinhalb Stunden Fahrt trennen Berlin vom burgenländischen Eisenstadt. An der Spree gilt seit eben ein komplette Singverbot in geschlossenen Räumen, was geharnischte Proteste hervorrief. Der Deutsche Chorverband sprach in einem offenen Brief von der „Auslöschung von Kulturgut“ und dem „Sterben des Nachwuchses“. Auch am Neusiedler See wurde alles abgesagt, Oper im Steinbruch St. Margarethen, Operette in Mörbisch; nicht mal mehr als „Maske in Blau“. Aber im nicht kleinen, auch nicht wirklich großen Esterhazyschen Schlosssaal hingegen soll – noch bevor am 14. August Riccardo Muti in Salzburg die Beethoven-Neun mit den täglich getesteten Wiener Philharmonikern samt Chor erschallen lässt – als starkes Symbol des singenden, klingenden Zurück-zur-Singnatur-Neuanfangs am 8. August die Haydnschen „Jahreszeiten“ ertönen. Mit Chor und Orchester und – natürlich – Günther Groissböck! Tu felix austria, bleibt uns da nur preußisch verkniffen zu murmeln.

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