Triumph einer Partitur, eines Konzepts und einer Sängerbesetzung: Ulrich Rasche inszeniert mit seiner Genfer „Elektra“ erstmals Oper

Fotos: Carole Parodi

Wo laufen Sie denn hin? Nein, einen „Peter Grimes“ als Operndebüt des gehypten Theaterregisseurs Ulrich Rasche, das hätte man sich nicht so wirklich vorstellen können. Schließlich ist es dessen minimalistische Spezialität, sein Personal im Dauergehen- und rennen in dunklen, vernebelten, von Lichtschneisen durchschnittenen Kunsträumen umwabert von Bombastmusik über Rollen, Tonnen, Bänder sprinten und spazieren zu lassen. Irgendwie verschwand die Basler Britten-Premiere bereits vor Corona wieder von den Spielplänen. Ein zweiter Anlauf, sicherlich sinniger mit der abstrakten Johannes-Passion von Bach, musste in Stuttgart pandemiebedingt auf Ostern 2023 verschieben werden.

So kam also jetzt das Grand Théâtre de Génève unter dem ambitionierten Intendanten Aviel Cahn zum Recht der ersten Rasche-Opernnacht. Und mit einem Werk, das passt, das er als große düstere Installation ausstellt; noch dazu als Weiterentwicklung desselben, bereits von ihm in München inszenierten Schauspieltextes: „Elektra“ von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal.

Rasche zeigt das im eigenen und gleichen, nur monströser gebauten Bühnenbild von damals, ganz bekannt rasche-stright und ohne jeden Ansatz von Interpretation. Er will eine bildhafte, symbolstarke Umsetzung der mythischen Atridengeschichte: Mykene, eine Moritat über Muttermord und Vatertötung, Familienzerfleischung, Schuld und Rache. Einfach so. Und einfach so stark.

Das funktioniert, weil an diesem faszinierend kurzen, doch dichten Opernabend alles glückhaft (und noch dazu bei diesem auch instrumental hypertrophen Werk weitgehend ohne Covid-Ausfälle) ineinandergreift: ein soghaftes, eigentlich primitiv einfaches, dabei technisch hochkomplexes Bildertheater; richtig besetzte, motivierte Sänger, die sich erstaunlich gut in den sportiven Rasch-Duktus einfügen; und ein das Bühnengeschehen amalgamisch aufnehmenden und tonspiegelnder Klangkörper unter einem versatilen, immer dicht dran agierenden Dirigenten.

Jonathan Nott am Pult des schön und nie zu laut klingenden Orchestre de la Suisse Romande gelingt eine akustisch fast perfekte Mischung aus Elfentanz und herabkrachender Betonplatte. Das tönt schmelzend schroff wie harmonisch graziös, sich aufbäumend in Wut, Wucht und schneidender Präzision. Die gut abgeschmeckten Kontraste machen es aus, in diesem Degustationsmenü des Grauens.

Alle sind hier gleich und marschieren an ihren Sicherungsseilen und im Gürtelgeschirr meist rechts herum auf einer schrägen Tonne, deren unteres Drittel sich dreht. Darauf liegt eine überlappende, rotierende Scheibe, und der Aufsatz kann hochgezogen werden und kippen. So sind viele Einstellungen dieses Objekts möglich, das Michael Bauer ingeniös beleuchtet und wie einen rabenschwarzen Diamanten aus der Tragödiennacht strahlen lässt. Darin könnte auch eine geile Heavy Metal Show ablaufen, und irgendwie ist Strauss ja hier auch der Hardrocker der Oper.

Sara Schwartz und Romy Springsguth haben das Personal in leicht variierende Arten von Schwarz gekleidet, ob Magd oder Königin Klytemnästra, alle sehen ähnlich aus, das vokale Führungspalast-Trio wirkt wie leicht abgewandelte Mutationen von Lara Croft als dramatisch auftrumpfende Opernstimme. Zunächst tänzelnd die Mägde samt Aufseherin um den schiefen Zylinder, dissen Elektra verbal bis diese im Turm erscheint, erst nur Kopf, dann muskulöser Körper, schließlich sehnige Stimme. Die kurzhaarige Ingela Brimberg ist keine schön singende Elektra (wer ist das schon), aber die Stimme spricht durch alle Register an, tönt auch im Leisen, das sie sich immer wieder traut, sendet durchaus hochschießende Spitzentöne. Dazu tritt sie auf der Stelle, die Knie gebeugt. Eine Kampfmaschine, wehe, wenn sie losgelassen.

Spannend wird dann der Dialog mit Schwester Chrysothemis. Der kerligen Sara Jakubiak mit zurückgebundener Frisur traut man zwar kein „Weiberschicksal“ zu, sie tönt trotzdem warm, ergreifend, weiß wie Legato geht und segelt sicher durch alle Lagen. Zwei Schwestern im Dialog der Rivalen, das drückt auch die Körperspannung der steten Bewegung aus: wie lauernde Tiere an der Leine. Von Rasches Settings geht im besten Fall ein Reiz des Primitiven aus: der Beuteneid, das ständige Beäugen, immer zum Absprung bereit. Natürlich funktioniert das in der Oper, mit ihrer nicht so monotonen Klangbegleitung wie im Rasche-Theater, anders. Es gibt Rhythmus- und Dynamikwechsel, Sänger mit ihrer Atemkontrolle können sich nicht vollkommen einer strikten Choreografie unterordnen. Dieses Weniger an körperlicher Disziplinierung gibt dem Ablauf freilich ein Mehr an Flexibilität und Unterscheidbarkeit.

Natürlich weiß man schnell, wo und wie es lang geht, Rasche ist selten für Überraschungen gut. Aber wie sich hier dieser unaufhaltsame Run auf das Ende wie in einer riesigen Gebetsmühle  immer mehr zuspitzt, auch wenn dann nach von Orest getaner Tat die im triumphierenden Tanz in den Tod gleitende Elektra einfach wieder im Turm verschwindet, was bleibt und was den Abend dominiert – das ist die pure Energie der Bühne, die gleißend Klang wird. Das Gesamtkunstwerk rundet sich so als dreifache Überwältigung aus Sujet, optischer Umsetzung und Rauschetönen aufs Schönste.

Ebenfalls weil die erfahrene Tanja Ariane Baumgartner ihre Klytemnästra so wortdeutlich wie differenziert, dabei stimmlich angenehm die alte Königin nicht als psychotisch verlebte Schabracke gestaltet, sondern eine grauenvolle Studie der kaum gezügelten Angst nachzeichnet. Und das mit sinnlich wackelnden Hüften! Und weil überhaupt Psychologie und bemühte Familienaufstellung – anders als in vielen jüngeren Inszenierungen – gänzlich außen vor bleiben. Immer wieder erinnert dieser quasi modernisierte, technisch State-of-the-Art-gepimmte Ansatz vom Schicksal als Mechanik an die Post-Wieland-Wagner-Deutungen der archaischen Everdings, Lindbergs und Barlogs der Siebzigerjahre.

Nur fragt man sich, warum Rasche für sein in jeglicher Hinsicht blutleeres, aber energetisch hochgepuschtes nervöses Hin und Her auf Scheibe und Rand noch gleich drei zusätzliche Choreografen plus einen Stage Direction Collaborator und einen Dramaturgen braucht? Da steht wohl einer langsam mit entsprechender Entourage unter Genieverdacht, der vor allem sehr clever ein einmal eingeschlagenes Inszenierungsmodell variiert. Was freilich auch seinen raschen Verfallswert haben könnte…

Die Männer haben hier, das liegt in der überweiblichen Natur der „Elektra“-Sache, nur wenig zu melden. Während der ordentliche, angenehm tönende Orest des Karoly Szemeredy sich darin fügt und ohne Fisimatenten sein Todwerk tut, gewinnt der lauernde Michael Laurenz dem gar nicht jämmerlichen Ägisth sogar neue Facetten ab.

Wie aber wird es mit dem Opernregisseur Rasche weitergehen? Wenn er das richtige, eher ritualisiert-abstrakte Stück ist, dann kann das eine Weile gut gehen. Denn in Genf hat er sich als alles kontrollierende, rigide das Tempo bestimmender Inszenator erstmals einem Größeren unterzuordnen gewusst – dem Komponisten. Und hat „Elektra“ nicht inszeniert, sondern als Prinzip und Zustand visualisiert.

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Ein Kommentar bei „Triumph einer Partitur, eines Konzepts und einer Sängerbesetzung: Ulrich Rasche inszeniert mit seiner Genfer „Elektra“ erstmals Oper“

  1. TOLL!!! ICH GRATULIERE VON GANZEM HERZEN UND BIN GLEICHZEITIG TRAURIG, DASS ICH NICHT KOMMEN KANN. ABER DIE FREUDE AN EUREM ERFOLG IST GRÖSSER.

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