Zum 150. Todestag von George Bizet: Omelett-Quartett und provenzalische Geschichten

Foto: Theâtre du Châtelet

Da war doch noch was – neben Carmen, jener populärsten aller Opern-femmes-fatales, die vor 150 Jahren ihren ersten Ton gesungen hat. Ja Georges Bizet, der Komponist. Er, der Spanien nie betreten hat, nur einer modisch angesagten Klangströmung folgte, verschwindet hinter dieser mythischen Figur immer mehr. Bizet, geboren 1838 als Sohn musikalischer Eltern in bescheidenen Stellungen, besuchte bereits mit zehn Jahren das Konservatorium, schrieb mit 17 eine Sinfonie in C-Dur – die erst 1933 in den Archiven entdeckt wurde. Nichts nur ist diese längst fester Konzertsaal-Bestand, Bizet war keineswegs ein One-Hit-Wonder, auch wenn die „Carmen“ sein umfangreiches Werk verblassen lässt. Der virtuose Pianist komponierte viel für das Klavier, auch Lieder, Kantaten, Orchesterwerke, eine Schauspielmusik und neun vollendete Opern. 1869 heiratete er Géneviève, die vermögende Tochter seines Lehrers Fromental Halévy, die später als Gesellschaftsdame ein literarisches Vorbild für Marcel Proust wurde.

Bald kaufte er sich im später auch von den Impressionisten geschätzten Vorort Bougival ein schmuckes Häuschen an der Seine – deren kaltes Wasser dem Badeliebhaber zum Verhängnis wurde. Nur drei Monate nach der „Carmen“-Uraufführung, die mit bis dahin 33 Vorstellungen leidlich erfolgreich war, aber sich erst langsam zum Besteller entwickelte, starb Georges Bizet mit 36 Jahren an seinem sechsten Hochzeitstag, dem 3. Juni, an einem Herzanfall. So begeht man jetzt den 150. Jahrestag der „Carmen“-Geburt wie des Todes ihres Schöpfers.

Auftritt – wieder einmal – der verdienstvollen Stiftung Palazzetto Bru Zane, die sich nicht nur an das Portal ihrer venezianischen Gartenhaus-Palästchen, einem Casino, eben, die Pflege des französischen Musikerbes des 19. Jahrhundert geschrieben hat. Die fährt 2025 Georges Bizet ganz groß. Wobei sie strategisch klugerweise die Affäre „Carmen“ terminlich schon sehr weit vorgezogen hat. Die nämlich wurde bereits im Herbst 2023 in Rouen samt den Opéra-Comique-Uraufführungskulissen „rekonstruiert“ und auf DVD festgehalten. Die Produktion tourt heute noch weltweit.

Unter dem Titel „Rebelle“ hat der Palazzetto zudem bei Alpha ein Album auf den Weg gebracht, das ein helles Licht auf die die Carmen auch mitformende Célestine Galli-Marié (1837-1905) wirft. Die bisher vor allem für ihre Barockinterpretationen bekannte Mezzosopranistin Eva Zaïcik ist die richtige Interpretin, um vokal wie als Person deren komplexen Persönlichkeit gerecht zu werden. Diese hatte zwischen 1850 und 1878 noch einer weiteren Vielzahl von Rollen ihren ganz persönlichen Stempel aufgedrückt, etwa Offenbachs Fantasio sowie der Mignon in Ambrois Thomas‘ Goethe-Vertonung. Zaïcik singt lauter vergessenen, frivolen wie emphatischen, dramatischen wie komischen Arien mit Esprit, Können und Anpassungsfähigkeit.

Als vier CDs mit 244 Spielminuten umfassendes „Portrait“-Buch erschien bei Palazzetto Bru Zane noch viel mehr Unbekanntes, Einiges erst 2024 im Rahmen dieser großflächigen Einspielbemühungen erstmals zu Gehör gebracht. Das herrlich klingende Œuvre eines begnadeten Melodikers weist einmal mehr auf den Exotismus des mit alten Instrumenten aufgenommenen Einakters „Djamileh“ hin und beschäftigt sich ganz besonders mit dem Output des Rompreis-Trägers von 1857. Die obligatorische Kantate zum Einzug in die Villa Medici gelang mit der üppigen Vokalnummer „Clovis et Clotilde“; davor hatte er schon mit „Le Retour de Virginie“ geübt. Und ein weiteres, großdimensioniertes Vokalwerk ist die melodramatische Ode-symphonique „Vasco de Gama“ inklusive eines mitreißenden Boleros. Eine schöne Studienouvertüre, Chöre, Lieder und Klavierstücke ergänzen diese großartig editierte Ausgabe, für die interpretatorisch das Beste der gegenwärtigen Franko-Musikszene aufgeboten wurde.

Außerdem veranstaltete der Palazzetto Bizet-Festivals in Venedig und – noch laufend – in Paris. Dort konzentrierte man sich vor allem auf einen großen, zweiteilig-szenischen, ebenfalls tourneetauglichen Musiktheaterabend im renovierten Théâtre du Châtelet. Der 18-jährige Bizet hatte 1856 einen von Jacques Offenbach ausgelobten Einakter-Wettbewerb mit der an diesen wie an Rossini erinnernden Hochzeitsbetrugs-Farce vom „Docteur Miracle“ gewonnen. Diese gewitzt-flotte Stück wird in der turboalbernen Regie wie schrillen Schwarzweißrot-Ausstattung von Pierre Lebon zu einer knalligen Klamotte, der die beschwingten, zwischen Ohrfeigen und Falltüren balancierenden Akteure (darunter Dima Bawab, Marc Mauillon und Thomas Dolié) kräftig vokal einheizen. Was in einem Pfannkuchen backenden Omelett-Quartett gipfelt, das hier alle vergnügt ins Klangkochgerät hauen: Treffsicherere Opernkomik geht kaum.

Tragödienhaft und schicksalsschwer geht es hingegen in der Bizet-Schauspielmusik für den Provence-Barden Alphonse Daudet zu. Der hatte aus „L’Arlésienne“ als Teil seiner Novellensammlung „Briefe aus meiner Mühle“ 1872 ein Drama gebastelt, das in seiner altmodisch-schwatzhaften Schicksalsschwere nicht mehr aufführbar ist. Doch um die beiden äußert beliebten, von Bizet und dem „Carmen“-Rezitativkomponisten Ernest Guiraud zu zwei Suiten arrangierte Partitur einmal komplett in den Stückzusammenhang zu stellen und in das originale Klangbild zu kleiden, montierte Lebon eine 75-Minuten-Rezitationsfassung mit Minichor, Mimen und Tänzern. Bizet hatte das einst für 24 Choristen wie 27 Instrumente geschrieben, darunter Saxophon und Klavier, die in den Suiten fehlen.

„Das Mädchen aus Arles“, das das Leben des braven Bauernburschen Frederi als „Carmen“-Prequel ruiniert und ihn in den Tod treibt, tritt zwar nie leibhaftig auf. Doch in dem schmutziggrauen Bauernambiente, dem ebenfalls das engagierte Orcheste de Chambre de Paris unter Sora Elisabeth Lee Tonprofil verleiht, zieht der charismatische Eddie Chignara als Erzähler Balthazar vor einer sich in Brecht-Manier vom „Mutter Courage“-Karren zur expressiv klapprigen Mühle ausziehen Bühnenbildkonstruktion in den Bizet-Bann. Und der hat, 150 Jahre tot, durch hörenswerte Werkwiederentdeckungen Einiges an musikalischen Facetten dazugewonnen.

Und letzte Bizet-Tat: Auch sein Grab auf dem Pariser Friedhof Père-Lachaise wurde pünktlich von der Stadt renoviert – inklusive der vor einiger Zeit gestohlenen und wiedergefundenen Büste.

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