Die Bamberger Symphoniker wollen, aus einer Stadt als Unesco-Weltkulturerbe mit 1000-jähriger Geschichte kommend, nachhaltiger und naturnäher werden. „Die Spuren, die wir als Orchester hinterlassen, sollen musikalisch wie ökologisch einen Unterschied machen und dazu beitragen, die Zukunft aktiv zu gestalten“, so schreiben sie in ihrer frisch erschienenen Saison-Broschüre, die unter dem Konzertmotto „Schöpfung“ steht. Und deshalb sucht dieses prototypische Reiseorchester von seiner Gründung an inzwischen bei einer Tournee nach Brasilien gleichzeitig nach einem Projekt zur Aufforstung des Regenwaldes. Als man unlängst nach Paris fliegen musste, weil der TGV nicht fuhr, wurde in der Folge das Aufforstungsprojekt eines abgebrannten Waldes in Südfrankreich unterstützt.
Und auch thematisch hat man sich gerade eben in gleich drei Veranstaltungen zu Hause (plus Bahn-Gastspiel zum ersten Mal in der neuen Münchner Isarphilharmonie) sehr naturnah positioniert. Mit zwei Konzerten und einer Filmvorführung zum Thema „Ring des Nibelungen“, sonst für ein Konzertorchester eher peripher, aber als Ökostück schlechthin (Rheingrund, freie Bergeshöhen, Felsenschlünde, Hütte mit Weltesche, Walkürefelsen, Neidhöhlenwald, Rheinufer) einfach ideal.
„Die Welt nach Wagner“, der Bezug zum aktuellen Sachbuchwälzer von „New Yorker“-Kritiker Alex Ross ist als Motto bewusst gewählt, der auch anwesend und involviert, lieferte also in der Konzerthalle Bamberg zunächst ein „Welt mit Wagner“-Konzert mit Musik des Gesamtkunstwerkes, von Debussy, Mahler, Strauss und Ligeti als Klanglabor von damals, das die Brüder Nick und Clemens Prokop mit multimedialen Projektionen passend zur Musik interdisziplinär verwoben, den „Ring ohne Worte“ sowie den live untermalten Stummfilmklassiker „Die Nibelungen: Siegfried 1. Teil“ von Fritz Lang aus dem Jahr 1924 mit der Musik von Gottfried Huppertz.
Vor dem „Ring“-Palimpsest, das einst Lorin Maazel angefertigt und auch mit den Berliner Philharmonikern glorios eingespielt hatte, gibt es eine „Wagnerism“-Einführung von Ross – in charmantem Deutsch. Ohne Worte ist diesmal mit Worten, auch in der Musik, geschickt und knapp in Pausen oder Überleitungen platziert, so dass der Fluss der 70-minütigen Suite nie gestört wird. Die lässt als bockspringender Schnelldurchlauf durch vier Opernschwergewichtiger interessanterweise viele populäre Highlights der ersten beiden Stücke weg, schneidet dafür interessant und verwendet fast Dreiviertel der Spielzeit auf „Siegfried“ und „Götterdämmerung“ in großen sinfonischen Tableaux.
Zwischen Erhebung und Ekstase finden sich also Einlassungen von so gegensätzlichen Gemütern wund Stimmen wie Cosima und Richard Wagner, Friedrich Nietzsche, George Bernard Shaw, Willa Cather, Thomas Mann, Charlotte Teller, Elfriede Jelinek, Alexander Blok, Virginia Woolf, T.S. Eliot, James Joyce und Walther Rathenau – alle auch Kronzeugen in der üppigen Ross-Stoffsammlung.
Hier liest sie, links auf einer Kanzel vor dem Pult stehend, pastoral schwarzgewandet und wohltönend – der großartige Schauspieler Jens Harzer. Ein Wonnefest für den eiligen Wagnerianer ist das (sonst sind da 16 Stunden abzusitzen), und fast alles wurde klanglich angerissen. Jakub Hruša, eher opernabstinent, hatte sich praktischerweise im Vorfeld mit einer von der britischen Presse gefeierten „Lohengrin“-Wiederaufnahmeserie am Royal Opera House Covent Garden bereits auf Wagner-Betriebstemperatur gebracht.
Doch deutlich hörbar, brauchen die Bamberger als nur selten mit Oper in Berührung kommender Klangkörper einige Anfangsminuten, bis die Hüftsteifheit und Taktgeradlinigkeit in dieser auch ohne Sänger theatralisch atmenden Musik abgelegt ist. Das Urgrund-Es der Bässe samt Cellowellen hätte noch naturbildhaft atmender sein können, die Hörner erfordern noch ein paar Konzentrationsmomente mehr.
Doch das hat sich schnell eingespielt und zurechtgejuckelt. Die Stärken der Bamberger, der warme Gesamtsound, die aus der Mitte der Holzbläser herausentwickelte Strukturlinie, die Präsenz ohne aufdringlich zu knallen, die locker gesetzten virtuosen Momente und entspannten Ausbrüche, da fügt sich Motivmosaiksteinchen um Mosaiksteinchen zum leuchtend bunten Programmmusikbild. Das doch immer wieder in fein gezeichneten Abschnitten diffundiert und verwischt, um dann wieder handlungskonkret zu werden.
Das wird durchaus laut, aber nie martialisch. Jakub Hruša ist ein stets liebevoll humaner Überwältiger, ein Hörermitnehmer in diesem „Wiegenlied der Welt“, bei dem man sich nicht manipuliert, sondern gestreichelt fühlt. Was wiederum perfekt zu mal kindlich mal allwissend tönenden Sprechstimme Jens Harzers passte, der diesem musikgeschichtsbedeutungsvollen Tonkonvolut immer wieder verbale Färbungen der Skepsis wie des Infragestellens entgegensetze.
Ein rundum gelungener, kurzer, intensiver Abend mit dem Texten als willkommenes intellektuelles Additiv, und ohne dass die Singstimmen diesmal vermisst wurden. Lecker!