Beethoven kämpft gegen Hitler als Schießbudenfigur: Die erstaunliche Bonner Wiederentdeckung von Rolf Liebermanns Opernerstling „Leonore 40/45“

Fotos: Thilo Beu

Gut gemacht, Oper Bonn! Hatte sich doch eben noch die Beethoven-Stadt mit der als Corona-verschobene Uraufführungspeinlichkeit von der Telekom promoteten Vollendung einer nur aus wenig aussagekräftigen Originalskizzenfragmenten von Computern sowie einem Schlagerkomponisten läppisch vollendeten 10. Sinfonie des Ludwig van bis auf die Kulturknochen blamiert wie prostituiert. So stand unmittelbar danach das schon seit ewigen Jahren immer mehr vernachlässigte, baulich ramponierte Musiktheater bei Fuß, um diese musikalische Scharte wieder auszuwetzen: mit der überraschenden Wiederentdeckung der auf Beethoven anspielenden ersten Oper von Rolf Liebermann (1910-99), der gemeinsam mit dem rigiden Neue-Musik-Papst Heinrich Strobel als Librettisten verfassten „Leonore 40/45“ – herausgekommen 1952, zuletzt gespielt 1959 in Osnabrück.

Und trotz des aufklärerischen Hoffnungsappells im „Candide“-Duktus zum Finale, „Alles wendet sich zum Guten in der besten aller Welten“, war es auch da ein Flop, wie seit der gelassener aufgenommenen Baseler Uraufführung in Deutschland eigentlich immer. Was damals vielleicht verständlich war, denn diese Oper kam kurz nachdem Krieg offenbar zur früh, um eine neue, grenzüberschreitende deutsch-französische Freundschaft zu feiern, wie sie zehn Jahre später politisch verordnet und dann glücklicherweise auch Realität wurde. Damals aber gab es  offenbar noch Anlass, um dies als Kollaborationsmachwerk und Fraternisierungsplotte abzutun. Die Wunden schwärten noch als zu weit offen.

62 Jahre lang hat sich kein Theater mehr daran getraut, obwohl Rolf Liebermann gut Karriere gemacht hat, als später viel frecherer, eigentlich auch wenig doktrinärer Komponist, der sich freilich zuungunsten seiner Musik vom Betrieb als erfolgreicher Opernintendant in Hamburg (gleich zweimal) und vor allem Paris hat einspannen lassen. Und so folgte im Musiktheater nach der ersten, jeweils mit Strobel erstellten Trias der Semiseria „Leonore 40/45“ noch 1954 und 1955 bei den Salzburger Festspielen „Penelope“ und „Die Schule der Frauen“ nach Molière; ebenfalls als Semiseria und Buffa ausgewiesen. Dann gab es erst, schon etwas aus der Zeit gefallen, 1987 in Genf „La Forêt“ nach Alexander Ostrowski und 1995 in Hamburg „Freispruch für Medea“.

Immer also kreiste es bei Liebermann musiktheatralisch um Literatur, am wenigstens in seinem Erstling. Bonns Chefdramaturg Andreas K. W. Meyer, immer schon ein Ausgrabungssüchtiger, hat hier für sein übergreifendes Projekt „Fokus 33“, das vergessene Werke auch von Braunfels, Reznicek, von Walthershausen, von Franckenstein oder Franchetti verbliebenen Werken aus dieser Zeit von Schönberg, Strauss, Weill gegenüberstellt, mit diesem buntscheckigen Stück einen Glückgriff getan.

Und wo das bisweilen pathetische deutsch-französische Libretto heute veraltert wirkt, da überrascht die polystilistisch unbekümmerte Musik des knappen Zweistünders. Da gibt es einen fleldermausflügeligen Herrn (sehr pointiert: Joachim Goltz), der als Schutzengel Monsieur Émile durch die Handlung führt und auch mal alles zum Guten wendend dramaturgisch eingreift. Denn der oboespielende deutsche Wehrmachtsoldat Albert (etwas eng in der Höhe: Santiago Sánchez) hat sich 1940 im besetzten Paris in die Pianistin Yvette (mit Fidelio-Stärke, aber zart: Barbara Senator) verliebt. Beider Herzen gehören also passenderweise auch der Musik, das deutet schon die „Fidelio“-Radioübertragung zu Anfang an, nach der die Mobilmachungsmeldung verlesen wird.

1944 fliehen die Deutschen, Yvette wird als Teutonenliebchen das Haar geschoren, sie aber sucht tapfer den aus Kriegsgefangenschaft entlassenen, bei einem französischen Geigenbauer (brummig: Martin Zonev) arbeitenden Geliebten und verdingt sich dort zunächst als Sekretärin. Am Ende aber steht eine die Völkerfreundschaft und Gattenliebe gleichermaßen beschwörende Heirat, an der auch Alberts kultivierter Papa (Pavel Kudnikov) und Yvettes melomanische Mutter (Susanne Blattert) begeistert in „LOVE“-Puschen teilnehmen.

Rolf Liebermann füllt hier genussvoll sprudelnden neuen Klangwein in einen alten Schlauch, wechselt die Stile und -Ismen, kann gustiös zwölftönen, zitiert gern Beethovens Attitüde, auch in den Formen als Soloarie, Quartett, Trio und Schlusshymne, spielt aber sonst mit romantisch säuselnden Operngeschichtsversatzstücken, mit Satire, Cabaret und Grand Guignol. Was Jürgen R. Webers flotte, dichte Inszenierung gekonnt schlussfolgernd hinter einer billig zusammengetackerten Gardine auf die expressiv schräge, oft simultan bespielte Brettlbühne (Ausstattung von Hank Irwin Kittel) in einen rustikal zirzensischen Rahmen stellt – mit Hitler und Churchill als Schießbudenfigur-Popanzen, aus dem Volksempfänger klappenden Hakenkreuzfähnchen, der Oboe als Potenzindikator, Artisten sowie Beethoven selbst und der barbusigen Marianne à la Delacroix-Freiheit als im Orchestergraben wütenden Statisten.  

Wesentlichen Anteil an dem kunterbunt sprudelnden Spektakel im damals zeitgenössischen Kostüm hat eine ebenfalls schräger Bilderrahmen, auf dem eben nicht nur das klanglich etwas ungünstig auf der Hinterbühne platzierte Beethovenorchester zu sehen ist (auch der Chor kommt nur aus dem Off), sondern vor allem die in „Looney Tunes“-Manier kräftig übertrieben die Handlung kommentierenden Cartoons und Collagen von Gretchen Van Weber zu sehen sind. So wird der fast unwirklich anmutende Idealismus einer  länderübergreifenden Freundschaft zwischen Deutschland und Frankreich ironisch gebrochen und mit Wagner- wie Liszt-Anspielungen als „Circus Hitler“, wo ein roter Luftballon dem Bombenhagel trotzt, gut konsumierbar. Wofür auch Daniel Johannes Mayrs kraftvolles Dirigat steht.

Doch, das kann man gern mal wiedersehen.

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Ein Kommentar bei „Beethoven kämpft gegen Hitler als Schießbudenfigur: Die erstaunliche Bonner Wiederentdeckung von Rolf Liebermanns Opernerstling „Leonore 40/45““

  1. Die aus China stammende Videokünstlerin heißt Gretchen Fan Weber mit F. (Fan ist ihr originalchinesischer Nachname. Sonst eine sehr zutreffende Kritik.

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