Es gibt sie noch, die guten, beruhigenden Klassikdinge. Eines davon: Robin Ticciati, der smarte, auch nach drei harten Berlin-Jahren im lokalen Wohlklang-Haifischbecken immer noch wie ein begeistert angefixter Teenager wirkende Chefdirigent und Künstlerische Leiter des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin (DSO), hat seinen Vertrag über 2022 hinaus um weitere fünf Jahre verlängert. Er bleibt also bis 2027 – und damit mindestens so lange wie Daniel Barenboim!
Beim DSO ist man natürlich über diese Ära von dann mindestens zehn Jahren erleichtert, auch weil man oben in der ROC-Dachorganisation die Neubesetzung des Orchesterdirektors so fahrlässig lange hinausgeschoben hat. Alexander Steinbeis hatte schon vor einem Jahr gekündigt, weil er – nach 13 Jahren in bestem Einvernehmen und Ticciatis-Weiterwirken in Aussicht – sich einfach mal verändern wollte. Und jetzt amtiert, wie vor 20 Jahren, da wieder der ehemalige Direktor Thomas Schmidt-Ott als Berater. Never change a formaly winning team? Hoffentlich tut sich da bald was an der Verwaltungsfront.
Robin Ticciati aber sitzt einem, noch fröhlich-enthusiastischerer Lockenkopf als sonst, entspannt und erholt nach getaner Unterschrift endlich wieder live gegenüber. Auch er hat fünf Monate in England bei den Eltern verbracht, obwohl er längst in Berlin lebt, hier eine (englische) Verlobte hat. Die wird im Oktober geheiratet – in Cornwall. Aber nicht nur, weil er nächstes Jahr auf seinem anderen Posten als Chef der Glyndebourne Festival Opera die Wiederaufnahme von Nikolaus Lehnhoffs legendär schön-intensiver „Tristan“-Inszenierung dirigieren wird.
Im Lockdown hat er sich in die Partitur vergraben, nach einigen Wochen des Lesens und Reflektierens auch wieder die Lust und die Notwendigkeit der Musik entdeckt. „Und ich war so begeistert während der Verhandlungen über meine Verlängerung, dass die DSO-Musiker immer besser werden, der Musik dienen, sie neu entdecken wollen. Da spüre ich immer noch Aufbruch und Lust, überhaupt keine Routine“, schwärmt er. „Das will ich unbedingt aufgreifen und fortführen. Wir sind auf einem wunderbaren Weg. Es war auch sehr heilsam, so viel Zeit zu haben mit meinen jeweiligen Teams mich tief auszutauschen, ganz besonders mit Stephen Langridge, dem neuen Künstlerischen Leiter in Glyndebourne. Auch unser kleiner, im Garten aufgepoppter Offenbach-Einakter „In the Market for Love“ nach „Mesdames de la Halle“ hat sehr viel Spaß gemacht.“
Und auch in der Riege der Berliner Orchesterchef nimmt der Brite mit seine Verlängerung so weiter eine wichtige, eigenwillige Stellung ein. „Nein, wir kommunizieren hier nicht so viel“, muss er zugestehen, auf die Frage, ob er sich mit den anderen Chefs austauscht. Bei Iván Fischer holt er sich menschlich-allgemeine Ratschläge, etwa über die innere Kreativität eines Sinfonieorchesters. Simon Rattle, früher ein Mentor, ist inzwischen ein Freund, „wir reden aber kaum über bestimmte Werke“.
Der erklärte Vokalfan, „Sopranstimmen sind mein Bestes, zum Glück ist meine Verlobte auch einer“, hat eben eine neue CD mit dem DSO veröffentlicht. Nach einer Serie mit französischer Musik, die jeweils Vokalstücke mit Magdalena Kozena einschloss, folgt nun ein Aufbruch in eine neue Richtung: Richard Strauss: Tod und Verklärung und Don Juan spielen er und das Orchester mit jugendlichem Überschwang, aber auch bewusster Klangdisziplin, die Aufnahme aus der Jesus-Christus-Kirche kling wunderfein. Und Louise Alder trägt mit zart leuchtendem Sopran die sechs gar nicht so bekannten Orchesterlieder op. 24 bei. Mit ihr hat Robin Ticciati in der Zukunft auch in Berlin viel vor. „Eine wunderbare Mozartstimme, ich hoffe, ich kann da auch etwas mir ihr aufnehmen. Meine Plattenfirma Linn Records ist mir aber sehr treu ergeben.“
Fazit: „Für mich ist ganz klar, das DOS ist das einzige Ensemble, neben Glydebourne, wo ich mich im Augenblick weiter binden möchte. Ich wir hier nicht nur noch etwas dranhängen, ich, nein: wir wollen die Kunstlandschaft nachdrücklich verändern. Denn auch die Musiker wollen den Aufbruch, wollen die Musik revolutionieren, ihr Können nach außen tragen. Und noch immer habe ich etwas von ihnen zu lernen wie sie von mir. Wir haben ein Bewusstsein und ein Gewissen für das, was wir tun. Das ist toll. Da möchte ich unbedingt weitermachen.“
Und noch übrigens kann man abstimmen: Vom Magazin „Gramophone“ ist das DSO aufgrund der herausragenden Rezensionen, die es für seine Einspielungen mit Robin Ticciati erhalten hat aktuell für den Preis als „Orchester des Jahres“ 2020 nominiert.