Eine „Auferstehung“ besonders rührender Klangart: Mitten im Omikron-Hoch gehen die Bamberger Symphoniker samt Wiener Singakademie mit Mahlers Zweiter auf Reisen

Klar, die Bamberger Symphoniker sind ein geübtes Reiseorchester. Aber gegen eine Pandemie sind auch sie machtlos, freilich vom Glück begünstigt. Und so scheinen sie gegenwärtig unter Omikron durchzutauchen und von allen guten Tourneegeistern gesegnet zu sein. Gerade haben sie Mahlers 9. Sinfonie zum größten Entzücken der Franzosen unter ihrem weltweit gefeierten Chefdirigenten Jakub Hrůša in die Pariser Philharmonie gebracht. Und sogleich folgte ein noch gewagteres Unternehmen: Gustav Mahlers 2. Sinfonie, vermutlich die erste Aufführung seit Ausbruch der Pandemie überhaupt, und das gleich dreimal und auf Tournee in Bamberg, Wien und Baden-Baden! Mit 120 Frauen und Männern der famosen Wiener Singakademie sowie knapp 90 Musikern. Medici TV hat in Wien mitgefilmt (auf der Bamberger-Webseite zu genießen) Und am 26. Februar gibt es diese Denkwürdigkeit nochmals in der Hamburger Elbphilharmonie. Ein Wahnsinn!

Der geklappt hat. Der freilich die stressgewohnte Verwaltung des versatilen Orchesters genauso forderte wie sonst eine fünfwöchige Asientournee. Apropos: Die Mahler-Teile plus weitere Großsinfonik sollte eigentlich im März im Rahmen einer Residency anlässlich des 50. Hongkong Arts Festival dort live aufgeführt werden. Jetzt werden es in Echtzeit mit Publikum von Bamberg aus in ein chinesisches Großkino übertragene Konzerte mit Einführungsfilmen und Education. Nicht nur gut für das asiatische Marken-Branding. Und geübt werden konnte für dieses interkontinentale Event jetzt auch öffentlich – wie vorgesehen.

Das beliebte Mahler-Monumentalwerk fasziniert nicht nur durch seine Größe wie 90-Minuten-Länge. Da ist eben auch der Finalsatz mit seinem, ihm den Namen gebenden Auferstehungshymnus nach Klopstock. Und das nach der Nietzsche-Evokation des zauberisch oboenumspielten „Urlicht“: „O Röschen rot! / Der Mensch liegt in größter Not!“. Worauf sich das chorentlädt: Auferstehn, ja, auferstehn wirst du, / mein Staub, nach kurzer Ruh! / Unsterblich Leben! Unstreblich Leben / wird, der dich schuf, dir geben!“ Das vermag schon in einem normal guten Konzert mit seinen wohlkalkulierten Steigerungen samt Orgel und Glocken für Gänsehaut zu sorgen, aber wie wird das wohl sich anhören nach zwei Jahren Konzert- wie Kulturbeschränkungen? Zwei musizierende Hundertschaften live, dicht und real? Grandios!

Jakub Hrůša und die Bamberger, das sind, nicht nur nach dem eben mit dem Jahrespreis des Preises der Deutschen Schallplattenkritik ausgezeichneten 4. Sinfonie, eine verschworene Mahler-Gemeinschaft. Und nun hat man auch, dank strenger Testregimes und einer klugen Reisestrategie (nur Zug, aber dreifach getrennt und auf mehrere Hotels verteilt) noch das Quentchen Glück gehabt, ausgerechnet diese Sinfonie vielfach und vielerorts spielen zu können. Oder, um es mit der so eindrücklich von Christina Landshamer und Anna Lucia Richter gesungene Phrase zu sagen: „Hör auf zu beben! Bereite Dich zu leben!“

Solche Worte, die entsprechende Musik und die Exzellenz der Ausführenden, das lässt im rotgoldenen Jugendstil-Ambiente des Wiener Konzerthauses scheinbar die Zeit stillstehen. Und alle fühlen sich, als hätten sie gerade den zweiten Booster gesetzt bekommen. Jeder Moment wird als besonders kostbar empfunden. Obwohl auf dem Podium dichtgedrängt eine Light-Aufstellung Platz gefunden hat. Nach der (hier uraufgeführten) Kammerfassung des Mahler-Enthusiasten Gilbert Kaplan wurde der Bläsersatz ein wenig ausgedünnt. Aber vollsatt tönt es trotzdem.

Dafür wurde selbst morgens noch einmal akribisch geprobt. Die Fernmusiken des Finales kurz vor dem Choreinsatz kosteten diverse Türeinstellungs- und Abstandsversuche auf drei Seiten, bis die nötige Abstimmungspräzision erreicht war. Das Aufstehen vor dem „Aufstehen“ galt es neuerlich mit der Singakademie zu üben, ebenso sollte die sich auch mal ohne Maske hören lassen dürfen.

Und abends entlud sich dann im dreifach geimpften Publikum samt obligatorischem PCR-Test (auch so ein Wiener Wahnsinn) der Beifall – nach einer denkwürdigen Aufführung. Das Schöne an Jakub Hrůšas dichter, präzise, doch stets beseelt und ohne falsche Gefühligkeit auf die Satzschlüsse zusteuernder Interpretation ist ihre Natürlichkeit. Da wirkt nichts überzüchtet, gewollt, gedehnt, erzwungen. Das grimmige, feinsinnige, triviale und philosophische Riesengebilde Mahlers entfaltet sich organisch in seinen Ab- und Aufschwüngen. Das kann ruppig klingen und weich, vollsatt und feinstrukturiert. Schon der E-Dur-Anfang kommt überlegt, souverän. Dieses Orchester ist quasi stufenlos regelbar, verlässt aber nie sein Ideal eines warmen, satten, hörnerübergoldeten Klangs.

Und wieviel kontrastdramatischer, plastischer, ergreifender, unmittelbarer ist das in der direkten, immer den Saal mitschwingen lassenden Akustik des erwartungsfroh fast vollen Wiener Konzerthaus zu erleben. Man meint förmlich, die Musik durch sich strömen zu spüren, ihre Ekstasen und Abgründe, ihre fanfarensatte Glaubensgewissheit, ihre Melancholie und Freude greifen zu können. Solche Augenblicke und Erfahrungen werden niemals ein Stream oder eine High End-Anlage ersetzen können. Das dreidimensionale Piano des von Heinz Ferlesch einstudierten, im weiten Apsisrund aufgestellten Chores, die absichtsvoll gestaffelten Fernmusiken, die Fülle dieser instrumentalen Nuancen – gipfelnd in der Es-Dur-Explosion des immer wieder verführerisch mitreißenden Schlusses –, alle so scheinbar einfach von Hrůša zusammengehalten, das klingt lange satt nach.

Mögen anderswo gerade Tourneen abgesagt werden (auch bei den Wiener Philharmonikern), Opernvorstellungen gecancelt, Programm geändert, Besetzungen angepasst werden, weil erst das tägliche Testen die positive oder negative Spielgewissheit ergibt, die Bamberger kamen durch, so pragmatisch wie glücklich. Und steigerten sich zu einer tollen, niederwalzenden wie Flügel verleihenden Aufführung, von winzigen, gerade eben allzu menschlichen Konzentrationstrübungen an der einen oder anderen kammermusikalischen Stelle abgesehen. Solches ist dann ganz real ein schmackiges Wiener Mittagsmahl wert. Das unter solchen Umständen und Erlebnissen doppelt mundet! Denn wie weiß schon Klopstock? „O glaube, mein Herz! O glaube: / Es geht dir nichts verloren!“

SHARE

Ein Kommentar bei „Eine „Auferstehung“ besonders rührender Klangart: Mitten im Omikron-Hoch gehen die Bamberger Symphoniker samt Wiener Singakademie mit Mahlers Zweiter auf Reisen“

  1. Bei Zwiebelrostbraten und Wiener Schnitzel glaubt man gerne an die leibliche Auferstehung…. – „Es wird a Wein sein und mir wer’n nimmer sein…“

Schreibe einen Kommentar zu Karl Waldeck Antworten abbrechen