Nicht Trash-Fisch noch Nostalgie-Fleisch: Nikolaus Habjans puppenlose Dortmunder „Tosca“


Fotos: Björn Hickmann (© Stage Picture)

„Mit Tosca kam die Zärtlichkeit“. So wie einst für diese heute als Oma-Duft für die Frau ab Fünfzig belächelte Duftkreation aus dem von Dortmund gar nicht so weiten Kölner Parfümhause 4711 geworben wurde (auch Montserrat Caballé hielt den Flakon einmal auf Anzeigen hoch), mit einem Hauch von großer Opernwelt, der doch nur provinziell roch, mit vorgeblicher Allüre und Passion, so betont altmodisch inszenierte nun auch der als Puppenspieler wie -bauer, Schauspieler, Kunstpfeifer geschätzte und eben auch regieambitionierte Nikolaus Habjan an der Oper Dortmund den berühmten Puccini.

Der findet an einem einzigen Tag, dem 17. Juni 1800, im von Napoleons Armee besetzten Rom statt, und wird ob seiner grellen Effekte aus Liebesschwur, geilem Schurken, Divenallüre, Folter, Mord, Erschießung und Todessprung gern als „Quälodram“ geschmäht. Man sollte diese herrliche Mischung aus Camp, Melos und Grand Guignol eigentlich nur neuinszenieren, wenn man drei Topsänger hat. Dirigent und Regisseur sind dann wohl noch notwendig, aber nicht wirklich von Bedeutung. Merkt man zumindest im Repertoirealltag in Wien (Inszenierung Baujahr 1958) und an der Deutschen Oper Berlin (Inszenierung Baujahr 1969). Dieser Schocker ist ­– selbst gut abgehangen – als Publikumsrenner und unkomplizierter Sängerdurchschleuser in jedem großen Haus notwendig, dankbar und pflegeleicht.

In Dortmund, wo jetzt nach 18 Monaten erstmals wieder live große Oper erklang, will Nikolaus Habjan etwas, aber es ist nicht wirklich zu erkennen, was. Es soll althergebracht und trotzdem modern sein. Und vor allem erstmals (bis auf ein Stoffschaf für das Hirtenmädchen am Anfang des dritten Aktes) ohne seine, für gewöhnlich die Habjan-Akzente setzenden Klappmaul-Puppen, wie im Münchner „Oberon“, der Wiener „Salome“ oder der „Entführung aus dem Serail“ als Auftakt seiner Dortmunder Zeit als Hausregisseur. Aber er bekommt es nicht wirklich hin, mit Liebe! Eifersucht! Folter! Totschlag! Mord! Selbstmord! – diesem vorweggenommenen Kintopp und Kolportage – zu spielen, es ernst zu nehmen und gleichzeitig trotzdem, durchaus mit einer Träne Plüschnostalgie, als das zu entlarven, was es ist: billig, brünstig, schaurig schön – und unheimlich genial, Schamlos auf den Effekt ausgerichtet. Vulgär, aber klasse. Habjans „Tosca“ ist – brav.

Heike Vollmer hat ein sich ergänzendes, eher karges Einheitsbühnenbild entworfen, dass die Schauplätze andeutet und ineinander überführt. Vage könnte das im zweiten Weltkrieg spielen, die Kirchentrümmer, die von San Andrea della Valle übriggeblieben sind, auch die karg-schlichten, meist grauen Kostüme von Denise Heschl deuten das an. Tosca trägt hingegen später die üblich rosaweiße Primadonnenrobe zum grün wallenden Seidenmantel. Nur eine bühnenfüllende Kirchenwand ist stehen geblieben, auf die pinselt oder restauriert Cavaradossi sein Magdalenenbild in bunten Farben – die gefallene, von Christus geläuterte Frau, natürlich steht sie auch für die Faszination, die Tosca auf alle Männer ausübt. Kinderchor und Te-Deum-Gemeinde erscheinen (vor allem coronabedingt) nur auf Gazeschleicher projiziert.

Im zweiten Akt sehen wird das Gemälde fertig, aber in Schwarzweiß hinter der üppig bestückten Tafel Scarpias, in der auch das fatale Obstmesser lauert, das er später dreimal in den Bauch gerammt bekommt. Zur Folterszene fährt der Keller hoch, so geteilt dient das Arrangement auch als Engelsburg, bei der während des Duetts noch einmal als Erinnerungsmoment die kaputte Kirche auf der Drehbühne durchmessen wird. Spoleta richtet am Ende seinen Revolver auf Tosca, die in einem Lichtblitz selbst abdrückt.

Natürlich sind gut gemachte traditionelle Produktionen neben den vielen schnell vergilbten Selbstdarstellerregie-Acts im Opernbetrieb vonnöten, aber mit einem Twist, bitte. Den lässt Nikolaus Habjan vermissen, da bleibt seine Personenregie zu sehr Konvention, auch sein nur schemenhafter Regieansatz. Diese „Tosca“ ist ein Zwitter, mit Mut zu Neuem, aber zu zaghaft dem Bewährten verhaftet, vor allem an den dramatischen Schlüsselstellen.

Und so kämpfen eben auch in Dortmund Im ewigen emotional lodernden Operndreieck Sopran-Tenor-Bariton der anarchische Maler Cavaradossi und der skrupellose Polizeichef Scarpia um die Gunst der schönen Sängerin Tosca. Und am Ende sind alle tot. Mehr ist nicht. Dafür gefällt die Besetzung. Inga Kalna versucht mit mutigen Spitzentönen das nervöse, liebesbrodelnde Theatertier und der Divenvamp, zeigt Wärme und Verlangen; nur bleibt es für die ganz großen Opernmomente ein wenig verhalten. James Lee singt als Cavaradossi frisch, pianofein und stilistisch feinfühlig, kann aber auch die laute Attacke, den selbstsicheren Spitzenton. Noel Bouley ist der vierschrötige Polizeichef Scarpia, der sich in die Primadonna verguckt hat und gleichzeitig seinem Folterwerk nachgeht. Auch er macht das hinreichend gut, lauernd, sinister, mit dunklen, gaumigen Tönen.

Gabriel Feltz dirigiert breit, sämig, aber nie schwerfällig. Mit den nobel aufspielenden Durtmunder Philharmonikern gelingen ihm neben den obligaten Fortissimo-Stellen schöne, bukolische Holzbläsermomente. Insgesamt serviert er eine kultivierte Schlachtplatte mit sanft ausgemalten Farben und nicht zu lauten Folterattacken. Das Orchester führt, die Sänger folgen. Feltz findet schön die Balance zwischen Kontrolliertheit und Lust am Laufenlassen, impressionistischem Ausmalen und gestischem Zupacken. Da ist nichts grell, manches fast unterkühlt. Puccini weiß es zu schätzen.

Nikolaus Habjan hat durchaus Regieschancen – auch ohne Puppen. Alle wollen gerade den vermeintlich intelligent Konservativen, der mit seinen detailverliebten Ausstattungen am Regietheatertrash wundgeriebenen Gemüter besänftigt. Diese „Tosca“ war aber noch kein wirkliches Gesellenstück. Nächstes Jahr kommt er mit der „Zauberflöte“ nach Dortmund zurück – mit Puppen.

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