Belcanto-Routine von der Rossini-Stange: Die Frankfurter Oper spielt verdienstvoll, aber unspezifisch „Bianca e Falliero“

Fotos: Barbara Aumüller

Von den nur fünf an der Mailänder Scala uraufgeführten Rossini-Opern können höchstens der inhaltlich mit der vierten Theaterwand beinahe avantgardistisch spielende „Il turco in Italia“ und die heute als Gattung Semiseria schwierig zu vermittelnde „La gazza ladra“ einigermaßen Originalität beanspruchen. Die anderen drei Werke, „La pietra del paragone“, „Aureliano in Palmira“ und das 1819 uraufgeführte „Bianca e Falliero“, werden kaum mehr gespielt. Letzteres gehört zudem selbst unter Rossini-Fans zu jenen fünf Stücken mit Doppelnamen („Demetrio e Pollibio“, „Torvaldo e Dorliska, „Ricciardo e Zoraide“, „Eduardo e Christina“ – bis heute selbst in Pesaro nicht aufgeführt), die als besonders schwach gelten. Trotzdem hat sich jetzt, fast zwei Jahre nach der geplanten, zunächst der Pandemie zum Opfer gefallenen Premiere, die Oper Frankfurt verdienterweise darangemacht, das bisher in neuerer Zeit lediglich dreimal in Pesaro-Sommern und einmal in Bald Wildbad szenisch sowie bei einer Londoner Konzertaufführung gegebene Werk auf den Prüfstand zu schicken.

Doch schon die ohne Vorhang sich präsentierende Ausgangszenerie macht wenig Hoffnung, dass sich das Urteil der Operngeschichte an diesem Abend wenden würde. Karoly Risz hat wieder mal ein geschlossenes Mauernhalbrund auf die Bühne gestellt, das sich in seiner opalisierend beigen Glätte ziemlich abweisend positioniert. Natürlich wird das dann auf- und zugeschoben, bietet so, mit einem zweiten, inneren Halbring, den einerseits ornamental dekorativen, freilich völlig requisitenfrei schnörkellosen wie akustisch günstigen Rahmen als auch die symbolische Metapher für eine in sich selbst eingeschlossene venezianische Renaissance-Gesellschaft; in der besonders der bösartige Patrizier Contareno seine Tochter Bianca drangsaliert. Die ist nämlich in den militärischen Volkshelden Falliero verliebt, soll aber den reichen Capellio heiraten, damit sich ihre Familie aus der Pleite rette.

Dies oftmals opernerlebte Story mit schwachen Romeo-und-Julia-Anklägen ist bis zum dann doch für die Liebenden glücklichen Ende leider auch musikalisch einigermaßen schematisch abgehandelt – mit nur fünf Arien für drei der vier wenig individuelle gezeichneten Protagonisten, einige Duette, Chöre und ein großes Erster-Akt-Finale. Lediglich das feinsinnig zweigeteilte Quartett vor dem zweiten Finale mit seiner zart strömenden Klarinetten-Einleitung lässt klanglich aufhorchen. Doch auch Routine-Rossini (mit eigentlich wenig Eigenanleihen, ausgenommen ausgerechnet die aus der drei Monate zuvor in Neapel uraufgeführten „La donna del lago“ übernommene Schlussarie für Bianca) lässt aufhorchen und macht meist belcanto-glücklich.

Vor allem, wenn sich ein wissender, liebender Maestro wie Guliano Carella mit vielerlei Möglichkeiten der Agogik um ariose Lebendigkeit bemüht. Wenn also im Frankfurter Opern- und Museumsorchester die Rossini-Walze machtvoll sich steigernd rollt, die Begleitung Spannkraft hat und nie zum banalen Hum-Ta-Ta verkommt. Verzierungen und Ausschmückungen sind eben immer sehr Gioacchino-besonders, Terz- und Sext-Engführungen in den Duetten stets romantisch beseelt, der Flötenpart Fallieros Kerkerszene gestaltet sich hell und Hoffnung machend. Und auch das erste Finale, das ebenso in einer Komödie geparkt sein könnte, lässt einen trotzdem rhythmisch auf dem Sitz mitwippen.

Was man von Tilman Köhlers fader, politisch korrekter, aber völlig unspezifischer Regie nicht sagen kann. Nach dreimal Händel-Erfolge gelingen ihm in dieser zeit- wie geschmacksneutralen Belcanto-Routine von der Rossini-Stange ebenfalls nur wohlfeile Inszenierungsstereotypen. Da demonstriert gleich zu Anfang der agile Chor vor sich hin, ohne auf leeren Plakaten und Spruchbändern zu zeigen, für was eigentlich. Da wird mit dem Revolver gefuchtelt, die Tochter wird vom Vater übel geschlagen, man spielt mit Schatten, und Wandkonstellationen, die oftmals die Menschen und ihre Träume einzwängen. Wenn es besonders dramatisch wird, leuchtet die Bühne rot, und gerne werden in den Concertati auch albernen Operngesten expressiv ausgestellt.

Bianca agiert zudem immer wieder als Riesenvideoprojektion (von Bibi Abel) auf den sich bestens dafür eignenden kahlen Wänden, aber geschlossene und offenen Mädchenaugen, Haare als Wellen und Winde, Spiele mit Rosenblättern, das ist wirklich ödester, völlig austauschbarer Bebilderungsstandard. Und auch weil Susanne Uhls unauffällige Kostüme wie aus dem Mittelklassekaufhaus wirken, entwickelt diese Oper über drei Stunden hin keinerlei Lokalfarbe und Individualität.

Zur Banalität der vorhersehbar unglaubwürdigen Handlung, dem hochwertigen Schematismus der Musik kommt diesmal auch eine Besetzung, die zwar die himmelschreiend schweren Vokalhürden dieser koloraturgepanzerten Partitur als weitgehende Hausensembleleistung entschieden zu meistern versteht, die aber ebenfalls wenig aufhorchen lässt durch eigenwillige Farben oder exzellentes Können.

Der Bassbariton Kihwan Sim ist ein verlässlicher, schon von Rossini stiefmütterlich behandelter Bräutigam Capellio. Theo Lebow als Contareno stößt in seiner fies hochgeläufigen Tenorpartie an Spitzentongrenzen, macht aber die Skrupellosigkeit dieses skrupellosen Vaters überdeutlich. Gern übriges hat Rossini in seinen Serias problematische Patriarchen als Tenor ausgepreist.

Falliero ist ebenfalls eine typische Rossini-Hosenrolle für einen Mezzo d’agilità. Beth Taylor erfüllt deren Anforderungen weitgehend, bisweilen gluckert die Stimme weg, manchmal wird sie grell, aber insgesamt gelingt ihr ein ebenmäßiges Legato. Die Bianca von Heather Philips, die am Schluss endlich ihr eigenes Ding macht und außerhalb den final geschlossenes Mauerrings abgeht, hat einen Schuss Essig in der Stimme, flackert jungmädchenhaft, wirkt aber immer wieder auch müde und bis an die Grenzen ihres nicht sonderlich edlen Soprans gefordert.

Insgesamt eine informative Begegnung mit einem eben nicht verkannten Meisterwerk aus der dritten Belcanto-Reihe. Das Raritätenkabinett Oper Frankfurt hat neuerlich eine Wissenslücke geschlossen. Die auch im Sommer noch zu den Tiroler Festspielen nach Erl transferiert wird. Schön. Aber wiederbegegnen möchte man „Bianca e Falliero“ höchstens mit einer Spitzenbesetzung – so wie sie Pesaro Anno 1986 mit Katia Ricciarelli und Marilyn Horne aufgeboten hatte.

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