Man ist immer so alt, wie man sich fühlt. Das mag im echten Leben bisweilen gelten, aber auf der Bühne – und zumal bei den meist als Fräuleins auftretenden lyrischen Sopranistinnen – können Aussehen und Stimme nicht lügen. Zumal dieser Typus heute sowieso als altmodisch gilt: Girlie oder Schlampe, das scheint auch im Musiktheater die einzige Alternative. Kein Wunder, dass inzwischen viele, zunächst vielversprechende Sängerinnen-Karrieren jäh an der Vierzigergrenze enden, wenn den Fachwechsel in dramatischere Regionen nicht klappt.
Eine, die optisch wie akustisch wohlerhalten bis in ihre späten Sechziger hinein die vorwitzigen, lebensklugen, frischen Fräuleins ganz wunderbar verkörperte, ist Helen Donath. Als Helen Ewing 1940 in Corpus Christi, Texas, geboren, setzte sie auf Disziplin und Charme und fand in ihrem Mann Klaus Donath, der sie häufig am Klavier begleitete, einen exzellenten Lehrer. Seit ihrem ersten Engagement 1962 als Rheintochter an der Kölner Oper hat sie ihr Publikum berührt und verzaubert – eine stille, aber nachhaltige Künstlerin.
Helen Donath hat sich nie hetzen lassen. Sie baute ihre Karriere von der deutschen Basis Hannover aus klug auf und ist noch heute überzeugte Niedersächsin. Und so hat sie mit Herbert von Karajan, George Solti und Leonard Bernstein gearbeitet, aber eben auch -mit den Scorpions: „Klaus Meine und ich haben ein besonderes Verhältnis.“
In Hannover hatte sie ihren dort als Kapellmeister wirkenden Mann kennengelernt, der sie umsichtig gecoacht hat. Ihr vor allem ein völlig makelloses Deutsch beibrachte. Und so kamen die Bayerische Staatsoper und Wien, die Scala, Salzburg, New York, Paris ganz von selbst. Überall begeisterte sie mit ihrem Charme, ihrer Innigkeit und ihren glockigen, aber eben auch warmen Tönen. Denn sie hatte das Geschenk eines sofort wiedererkennbaren Timbres. Obwohl Helen Donath weiterhin problemlos ihre jungen Dinger singen konnte und wollte, hat sie vorsichtig deren reifere Konterparts ausprobiert, die Gräfin, die Agathe, die Marschallin, auch Desdemona. So blieb sie gefragt und geliebt, hatte nach fast dreißig Jahren Salzburg-Abstinenz dort 2003 einen rauschenden Erfolg als Aitra in Strauss‘ „Ägyptischer Helena“. Und war dann von 2004-06 ebenfalls an der Salzach ein wunderfein schräge Despina in der arg kitschigen „Così fan tutte“ der Herrmanns.
2007 schließlich riss Helen Donath – im Monat ihres 45jährigen Bühnenjubiläums! – als hinreißend knusperfrische Renterinnen-Zerlina beim jungen Stefan Herheim in dessen Essener „Don Giovanni“ neuerlich zu Begeisterung hin. Das von der Regie verordnete Gehwägelchen hätte sie gar nicht gebraucht, sie hatte aber als eine Art Mozart-Prusseliese viel Spaß damit. Und sang bei weitem eigenwilliger, frischer und anrührender als ihre viel jüngeren Kolleginnen als Donna Anna und Elvira…Und bis 2015 war sie auch noch in Köln und Wiesbaden als Mrs. Grose in Brittens Kammerspukschocker „The Turn oft he Screw“ unterwegs.
Sie ist als Lehrerin wie Coach gefragt, sitzt in Jurys und erzählt auch gern aus ihrem erfüllten Künstlerinnenleben. Ganz mit sich im Reinen. Heute begeht Helen Donath, die eben noch in Hannovers Herrenhäuser Gärten ein Corona-Arienkonzert der Staatsoper mit dem schrägen Titel „Sh*t happens“ makellos damenhaft moderierte, ihren 80. Geburtstag. Glückwunsch!!