Der Mann mit dem Schwan ist da: Die Bayreuther Festspiele 2022 eröffnen mit der „Lohengrin“-Kinderoper

In Bayreuth gibt es dieses Jahr nicht nur die selten dagewesene Novitäten-Anzahl von fünf großen Premieren, sondern sogar noch drei weitere, kleinere: zweimal ein Opern-Air-Konzert im Festspielpark mit unterschiedlichem (auch Nicht-Wagner-) Programm, dazu als jährliche „Diskurs Bayreuth“-Produktion im Kulturkino Reichshof „Nach Tristan“, ein Abend zwischen Richard Wagner und Heiner Müller, der den Weg von „Tristan und Isolde“ zu „Quartett“ auslotet, so die beiden „Einrichter“ Ingo Kerkhof und Gerhard Ahrens. Darin spielen „Franken-Tatort“ Kommissarin Dagmar Manzel und Sylvester Groth. Und dann ist da natürlich noch die Kinderoper auf der Probebühne IV, nach der Schumpfversion im Corona-Jahr 2021 endlich wieder in voller Schönheit.

Nach 2014 ist zum zweiten Mal „Lohengrin“ angesetzt, diesmal in einer cleveren „Whodunit“-Krimiversion von Katharina Wagner selbst, witzig wie intelligent inszeniert von Lea Willeke. Die beiden englisch aussehenden Polizisten Herr Heinrich (Oleksander Pushniak) und Herr Rufer (Manni Laudenbach, der beliebte kleinwüchsige Schauspieler aus der „Tannhäuser“-Inszenierung von Tobias Kratzer – auch anwesend – gibt sogar sein Singrapp-Debüt) suchen nach dem verschwundenen Gottfried von Brabant (trotz erst täuschender Perücken noch keine gegenderte Gottfrieda).

Das tun sie, und da haben vor allem die Erwachsenen ihren Spaß, auf einem Dach zwischen rauchenden Kaminen, als käme hier gleich Mary Poppins mit ihren Schornsteinfegern vorbei. Brabant scheint also diesmal eher in London zu liegen. Und mit ihrer blauweißgrauen Fassade, hinter der sich Elsas Appartement in Orangetönen auftut, hat Bühnenbildnerin Zoe Leutnant fast die gleichen Grundfarben gewählt wie Neo Rauch für die Kulissen des aktuellen großen „Lohengrin“. Auch das Portraitbild im Wohnzimmer erinnert an den Leipziger Malerstar, während der dort abgebildete Hund zwischen Elsa und Gottfried als Mischung aus Rauch-Mops Smylla und aktuellem Wagner-Hügel-Hund Bruno zu lesen ist. Auf dem Programmheft präsentiert sich der mit Sherlock-Holmes-Mütze und Pfeife aber eindeutig als englische Bulldogge.

Man könnte nach diesen gewitzten Bezüglichkeiten noch räsonieren, ob der samt einem putzigen, auf die Hauswand geworfenen Zeichentrickschwan auftauchende Lohengrin im karierten Mantel des baritonal sich hochstemmenden Daniel Kirch nicht aussieht wie der uneheliche Sohn von René Kollo, aber konzentriere wir uns lieber auf das Wagner-Wesentliche. Auch hier wird der manipulierbare Telramund (finster-laut: Michael Kupfer-Radecky) von sein bösen Gattin Ortud, die schließlich an allem schuld war, in den Boxkampf geschickt. Sie selbst ist eine fieser Kräuterhexe mit – bei 34 Grad Außentemperatur! – hitzetreibender Betonfrisur. Und Stéphanie Müther singt sie lustvoll mit geboten damenhafter Schrillheit. Ordentlich Wagnerwums in der trotzdem noch lyrischen Stimme hat auch die Elsa von Brit-Tone Müllertz.

Am Ende sind es sogar die mit roten Wollfäden die Täterprofilfotos verbindenden, alle zum ariosen Einzelverhör bittenden Bobbies, die Elsa dazu bringen, den Mann mit dem Schwan zu entarten. Der dann einfach wieder verschwindet, während Elsa sich über Gottfrieds Rückkehr freut. Und weil hier sogar vier Bayreuther Edelstatisten als Dachangler, Bischöfin für die Hochzeit, Schnüffler und Arobicmaus den Brautgemach-Chor sehr anständig mitsingen, ist diese XXS-Version von etwas mehr als einer „Lohengrin“-Stunde rundum ein Vergnügen. Das musikalisch überschäumend und klug arrangiert von Marco Zrdalek schwungvoll von Hartmut Keil und dem Brandenburgischen Staatsorchester Frankfurt durchmusiziert wird.

Mögen die Großen im „Lohengrin“ schon wieder Ärger haben, weil Klaus Florian Voigt in der Generalprobe im Finale statt „Seht da den Herzog von Brabant! / Zum Schützer sei er euch ernannt!“, die Original-Version vom „Führer“ gesungen hat – und das in Bayreuth! –, die Kindervariante wird einmütig beklatscht und bejubelt. Obwohl es diesmal hinterher kein Sponsoreneis mehr gibt!

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