Three Americans in Dresden: Spätsommerliches US-Orchestergipfeltreffen an der Elbe

Ja, ja, da stehen sie wieder am Postplatz, ein versprengtes Häuflein protestierender Impfgegner in roten T-Shirts, die AfD baut eben ihren Infostand auf, legt die Gratis-Kugelschreiber aus. Nein, das septemberlich sandstein- kuppelkupfergrün- und goldstrahlende Dresden ist nicht so. Im fast vollen Kulturpalast, außen Sozialismus, innen feinstens, auch akustisch schmiegsam weinbergrenoviert und nur ein paar Monate nach der Elbphilharmonie wiedereröffnet, da gaben sich vier Tage lang drei amerikanische Spitzenorchester die Tourneeklinge in die Hand. Während meistens nur je zwei bei den spätsommerlichen Festivals in Edinburgh, London, Luzern, Berlin und Salzburg Stationen machen, haben an der Elbe alle drei angedockt. Polyglott vorbildlich also.

Das gelang zwar auch der Elbphilharmonie, aber da sind drei Veranstalter involviert, in Dresden hat alles der USA-affine Jan Vogler mit Teilwohnsitz in New York gebündelt – als kurzen, knuffigen Septembersatellit seiner frühsommerlichen Musikfestspiele, denen der Cellist seit 2009 vorsteht. Und bevor jetzt am 4. September das Cleveland Orchestra unter Franz Welser-Möst zum Finale mit einem All-Strauss-Programm antritt – gerade für die Dresdner ein spannender Vergleich zur an diesem Wochenende unter Christian Thielemann auch an Bruckner herumschraubenden Staatskapelle sowie zu den im Palast beheimateten Philharmonikern – sorgten die zwei Paradeklangkörper aus Pennsylvania für begeistertes Entzücken.

Das Pittsburgh Symphony Orchestra, dem seit 2008 der Vorarlberger Manfred Honeck vorsteht und es zu neuen Qualitätshöhen geführt hat, eröffnet reizvoll mit den fünf, zwischen Neoklassizismus und Volksmusik pendelnden Stücken für Streichquartett des immer noch zu entdeckenden Erwin Schulhoff; Honeck, der so etwas immer wieder gern macht, hat sie mitorchestriert. Süffig und vollsaftig klingt es in diesen Charakterminiaturen nach Wiener Walzer, freilich eckig im Alla-breve-Takt, einer Serenade, Tschechischem, Tango und Tarantella. Das wirbelt hurtig vergnüglich vorbei, offenbart aber schnell die Vorzüge dieser tollen Truppe: Die fährt gern groß auf (allein neun Kontrabässe sind aufgeboten), behält aber trotzdem immer ihren weichen, edel gerundeten Klang. Das ist Energie pur, aber stets souverän kanalisiert, nie wird es laut oder grell. Ein edles Klangstöffchen.

Und lässig hüpfen diese Musiker natürlich auch über die salonhaft französischen Jazzsynkopen von Maurice Ravels G-Dur-Klavierkonzert. Ich bin kein großer Freund von Hélène Grimaud, aber dieses motorisch vorwärtstreibende Stück mit dem kantabel-entrückten Mittelsatz von einer gewissen, wachen Nüchternheit erweist sie als glänzend schnittig Stilistin, die mit gazellenhafter Energie durch die nicht wenigen Noten in kurzer Zeit surft und gischtet.   

Und dann gab es noch eine in sich ruhende, Extreme auslotende, aber nie überschreitende, wiederum vollmundige Ausdeutung von Tschaikowskys 5. Sinfonie e-moll. Wie schon vorher der Englischhornspieler bei Ravel, so begeisterten nur das erste Horn und die anderen Pittsburgh-Solisten.

Manfred Honeck, der Verlässliche, Ausgeglichene, Harmoniebedürftige, sucht nicht die zerklüftet-zerrissene, ewig sich aufbäumende Schicksalskampfhaftigkeit, die man in dieser Musik auch finden kann. Bei ihm fließt es ruhiger, er betont Entwicklungen, auch Brüche, aber ist immer um wache, durchaus gefährdete Schönheit bemüht. Das ist ein sanfter Blickwinkel, der dieser Musik den Überdruck nimmt, ihre Klarheit und Harmonie betont. Kann man machen, wenn man es kann – und wenn man solche Interpreten hat, die ihren Tschaikowsky zum Strahlen bringen, aber ihn auch melancholisch versonnen eintrüben können. Und das auf einer stufenlosen Dynamik- wie Temposkala. Trotzdem atmet das Finale Wucht und Vehemenz.

Traumschön dazu das streicherfließende Panorama aus Tschaikowskys „Dornröschen“ als erste Zugabe. Rassig, knallig, voll Freude am eigenen Können dann als zweites Encore der Galopp aus der „Masquerade“-Suite von Chatschaturian.

Tags darauf sind die aus Salzburg angereisten Pittsburgher mit ihrer von 2020 nachgeholten Tournee mit elf Konzerten in neun Städten schon wieder nach Wiesbaden und Köln unterwegs. In Dresden aber trifft aus Berlin das Philadelphia Orchestra mit seinem in der 10. Spielzeit amtierenden Chef Yannick-Nézet-Séguin ein, ebenfalls auf einer strapaziösen Europa-Tour, der ersten seit drei Jahren, die dann nach Luzern weitergeht.

Und damit zieht der Glamour ein in den Dresdner Kulturpalast. Nicht nur, weil das Orchester aus der Freiheitsstadt lange schon einen seidig-schillernden, so wachen wie tiefenentspannten, doch stets präsenten, klar konturierten Klang pflegt. Den der Kanadier Nézet-Séguin noch einmal veredelt und verchromt hat. Sondern weil der spät resterblondete Chef gerne glitzert, auch optisch: diesmal im schwarzen Seidenhemd und mit einem breiten Pulsmessring am Daumen, der seine Strahlen bis in den Rang schickt. Die Dirigenten-Nahsicht offenbar zudem einen in Ukrainefarben lackierten Daumennagel, während der andere regenbogenstolz prunkt.

Glanz in die Musikhütte bringt auch die hier gut zu tun habende Solistin Lisa Batiashvili mit. Die Georgierin ist nicht nur stark mit musikalischen Ukraine-Hilfsmaßnahmen beschäftigt, sie hat eben auch mit Yannick bei der Deutschen Grammophon eine neue CD veröffentlicht, die Teile ihres Konzertprogramms enthält: das in Jugenstiltonranken sich verschlingende, rhapsodisch flimmernde, harmonisch kaum zu fassende Erste Violinkonzert von Karol Szymanowski, noch immer viel zu selten gespielt; hier fast im freien Flug grenzfrei und mutig legatobogendahinsegelnd.

Das atmet eine Textur des knitterfrei Feinstofflichen, munter mischen sich die Farben, scheinen die Exotismen auf. Lisa Bathiasvili freilich bindet es trotzdem energisch und lässig zugleich in eine Form; man folgt fasziniert, ebenso dem gelassen pulsierenden Zusammenspiel mit dem tadellosen Orchester. Nézet-Séguin kann sich auf wenige Gesten beschränken.

Ebenso edelschön gelingt das zurückhaltender, fast keusch dargebotene „Poème“ Ernest Chaussons mit seinem ins Offene entschwebendem Trillerschluss. Und weil praktischerweise ein Klavier auf der Bühne steht, ist ganz zerbrechlich, opak, leise, links in der Ecke, bei verdunkeltem Saallicht auch die intime CD-Zugabe möglich: Debussys „Beau Soir“ mit Yannick als ideal mitfühlendem Pianopartner.

Dann heißt es Podium frei, diesmal nicht für die Dvorak-Adeptin Florence Price, deren etwas verspätete, mit afrikanischen Rhythmen verbrämte Sinfoniekunst der versatile Nézet-Séguin eben auch in Philadelphia, auf CD wie Tour feiert. Statt der woke-gefälligen, doppelt benachteiligen Komponistin gibt es hier, nicht weit weg von der böhmischen Grenze, das tschechische Original: Dvoraks 7. Sinfonie. Sie erklingt das erste Mal auf der Tour, man hört die Frische und Freude des Zusammenspiels. Schnittig schmeißt sich Yannick in die Kurven, steuert sein Orchester als aerodynamisch bereiten Boliden durch die bockspringende Partitur mit ihren Brahms-Anzüglichkeiten, wie dem mitreißenden Tschechenflair. Das macht Laune und explodiert fröhlich im Finale. Als Zugabe offeriert man noch ein folkloristisch freches Brahms-Tänzchen.

So kehren die drei US-Spitzenklangkörper im Triumph in die sächsische Musikmetropole zurück. Stars and Stripes mit diesmal komplett europäischem Repertoire – why not?

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