
Wer kürzlich erlebt hat, wie bei ihrem ersten gemeinsamen Auftreten beim Kissinger Sommer die durchaus gestandenen Musiker des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin auf den Dirigenten François Leleux reagiert haben, wie seine Spielfreunde sie enthusiasmiert hat, wie sie sich ins Zeug legten, als man gemeinsam die seit Jahrzehnten von dem Klangkörper nicht mehr gespielte C-Dur-Sinfonie von Georg Bizet quasi neuentdeckte, aber auch wie lustvoll sie den Mann am Pult in Oboen-Bearbeitungen von Mozart-Opernarien begleiteten– der kann sich ausmalen, dass bei der ersten Begegnung der Kammerakademie Potsdam mit dem französischen Oboisten ähnlich gefunkt haben muss.
Und offenbar passte alles gut zusammen. Leleux, der zwar Dirigieren studiert hat, aber sich erst seit einigen Jahren damit auch regelmäßig auf den Musikpodien Lorbeeren verdient, war erst kürzlich mit seiner Frau, der georgischen Stargeigerin Lisa Batiashvili, und den beiden Kindern von München nach Berlin umgezogen. Und während der eigene Nachwuchs gerade flügge wird, suchte sich Leleux, der lange als Solooboist im Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks unter Lorin Maazel wie Mariss Jansons brillierte, ein erweitertes Betätigungsfeld. Das hat er nun bei der KAP gefunden. Diese Saison startet er bei dem durchaus von Erfolgen verwöhnten Orchester als Nachfolger des von 2010-25 mehr als 15 Jahre lang hier geschätzten Antonello Manacorda.
Der wiederum hatte ebenfalls vom Geiger und Konzertmeister des Gustav Mahler Jugendorchesters wie als Gründungsmitglied des Mahler Chamber Orchestra umgesattelt auf Dirigieren, hatte sich bei Claudio Abbado wie der finnischen Legende Jorma Panula das Rüstzeug geholt. Gemeinsam mit der KAP war gewachsen, man hat gemeinsam für Sony vielbeachtete Zyklen der Sinfonien von Franz Schubert, Felix Mendelssohn und Ludwig van Beethoven eingespielt und aufgeführt. Gleichzeit hat die die Kammerakademie Potsdam ihre Beziehung zu berühmten Solisten wie Albrecht Mayer, Emanuel Pahud oder Avi Avital intensiviert, mit denen man regelmäßig auch auf Tournee ist. Manacorda, weiterhin in der Oper vielgefragt, zog es nun zu neuen Ufern, aber man wird weiterhin gemeinsam Arbeiten, er bleibt der Formation als Ehrendirigent erhalten, ein Beethoven-Zyklus auf Tournee ist schon für das nächste Jubiläumsjahr 2027 geplant.

Und François Leleux, der ebenfalls viele Pläne hat, auch weiterhin an der Münchner Musikhochschule unterrichten will, firmiert nun als Künstlerischer Leiter. So ist man zwar gemeinsam Verbunden, aber beide Partner haben noch Freiräume. Zuletzt war Leleux unter anderem als künstlerischer Partner der Camerata Salzburg und Artist in Association beim Orchestre de Chambre de Paris tätig. Für sein erstes Konzert als designierter Künstlerischer Leiter der KAP kam der als leidenschaftlicher Kammermusiker geltende Dirigent mit der Harfenistin Isabelle Moretti nach Potsdam und stellte die impressionistischen Klangwelten Debussys neben märchenhafte Klänge von Ravel und große Werke Mozarts.
Und jetzt, zum ersten offiziellen Konzert der neuen Paarung Leleux-KAP zum Start der Saison 2025/26, heißt es am 6. September im Potsdamer Nikolaisaal „Surprise“. „Ich liebe Überraschungen“, das muss François Leleux natürlich sagen, wenn er Haydns Londoner Sinfonie „mit dem Paukenschlag“ (englisch „Suprise“) ans Ende seines ersten Termins setzt. Davor: die Sturm-und-Drang-Sinfonie „La Passione“, ebenfalls von Haydn, die Kantate „Herminie“ von Hector Berlioz mit der Sopranistin Carolyn Sampson sowie zwei Werke des französischen Zeitgenossen Nicolas Bacri, bei denen François Leleux auch einmal zur Oboe greifen wird. Zudem gratuliert die KAP mit diesem Konzert dem Nikolaisaal, ihrem Zuhause, zum 25. Geburtstag.
Geboren wurde François Leleux 1971 im nordfranzösischen Croix. Bereits als 6-Jähriger vom sinnlichen Ton der Oboe fasziniert, begann er am Konservatorium von Roubaix ein Oboenstudium. Im Alter von 14 Jahren wechselte er an das Pariser Conservatoire National Supérieur de Musique et de Danse und gewann schnell zahlreiche internationale Wettbewerbe. Gleichzeitig war er im Jugendorchester der Europäischen Gemeinschaft unter der Leitung von Claudio Abbado tätig und wurde kurze Zeit später Mitglied des Orchestre National de France. Mit 18 engagierte ihn die Pariser Opéra Bastille als Solo-Oboisten, woraufhin er nur vier Jahre später in der gleichen Position zum Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks unter der Leitung von Lorin Maazel wechselte.
Neben der Orchesterarbeit ist François Leleux als leidenschaftlicher Kammermusiker in zahlreichen Ensembles aktiv und arbeitet länger schon auch höchst erfolgreich als Dirigent, wobei er bei seinen Auftritten für seine Energie und Leidenschaft gefeiert wird. Er hat als Artist-in-Residence unter anderem mit Orchestern wie dem hr-Sinfonieorchester und dem Orchestre Philharmonique de Strasbourg zusammengearbeitet. Als Dirigent verbindet ihn eine regelmäßige Zusammenarbeit mit Orchestern wie dem Oslo Philharmonic Orchestra, dem Sydney Symphony Orchestra, dem hr-Sinfonieorchester, dem Philharmonischen Staatsorchester Hamburg und der Ungarischen Nationalphilharmonie. Als Solist trat Leleux unter anderem mit dem New York Philharmonic Orchestra, dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin, dem Royal Stockholm Philharmonic Orchestra, dem Royal Liverpool Philharmonic Orchestra, dem Budapest Festival Orchestra, dem Sinfonieorchester des Schwedischen Rundfunks und dem NHK Orchestra Tokio auf.
François Leleux ist des Lobes über seine neue Formation voll: „Das Musizieren mit der Kammerakademie Potsdam ist eine Freude und eine faszinierende Herausforderung. Die Musiker sind fantastisch und offen für Neues. Es wird eine wichtige und aufregende Zeit in meinem Leben als Künstler. Ein Fest für die Ohren!“

Orchestervorstand Tobias Lampelzammer erinnert sich: „François Leleux hat in der ersten Probe, quasi vom ersten Ton an, einen Nerv des Orchesters getroffen, und wir haben schnell festgestellt, dass wir die gleiche musikalische Sprache sprechen. Leleux ist einer der führenden Oboensolisten unserer Zeit und wird in dieser Funktion ebenso wie als Dirigent zu erleben sein. Diese Kombination ist für die KAP besonders interessant, da sie eines ihrer Markenzeichen unterstreicht. Als Mitglied des orchesterinternen Programmausschusses freue ich mich insbesondere auf die gemeinsame Entdeckung neuen Repertoires und, wenn man ein gelungenes Konzertprogramm mit einem Menü vergleichen möchte: auch auf die Geschmackserlebnisse der französischen Küche.“
Leleux nennt als dirigentische Vorbilder natürlich Lorin Maazel für seine makellose Schlagtechnik und Mariss Jansons für seine kreative Kraft in seinen Proben, Carlo Maria Giulini für seine Aura und Myung-Whun Chung für seine ruhige, aber überzeugende Art, sowie Yannick Nézet-Séguin, Alan Gilbert und Daniel Barenboim.
Bei Leleuxs zweitem KAP-Konzert steht die erste Sinfonie des jungen georgischen Komponisten Tsotne Zedginidze auf dem Programm. Auch der georgischen Pianist Georgi Gigashvili, den seinen Frau fördert und der unlängst den Kissinger Klavier Olymp gewann, wird Bachs Konzert in d-Moll, zum Teil in einer Jazz-Bearbeitung von Oscar Peterson spielen. Im Anschluss erklingt dann Keith Jarretts Adagio für Oboe und Streichorchester. Auch hier gilt: „Surprise“ Wobei François Leleux als Thema der ersten Spielzeit „Bewegung“ ausgegeben hat: „Bewegung ist ein Zeichen des Lebens, das sich immer neuen Zielen nähert.“
Und am 20. September wird dann in Potsdam „Staffelübergabe“ gefeiert. Antonello Manacorda, der eben für Donizettis „Maria Stuarda“ mit den Wiener Philharmonikern bei den Salzburger Festspielen gefeiert wurde und der kurz vorher beim Musikfest Berlin sein Debüt mit dem Orchester der Deutschen Oper Berlin gegeben hat, wird Arnold Schönbergs Kammersinfonie op. 9 sowie Schuberts erste Sinfonie dirigieren, Leleux aber spielt das Oboenkonzert von Richard Strauss: ist ein kammermusikalisches Schmuckstück, das heiter daherkommt, obgleich die Welt des Komponisten im Jahre 1945 zusammenbricht.