Einschläfernd harmonisch: Die Potsdamer Musikfestspiele konnten doch noch eine Telemann-„Pastorelle“ szenisch hochfahren

Fotos: Stefan Gloede/Musikfestspiele Potsdam

Hurra, wir sind wieder da, nach sieben Jahren und mit einjähriger Verspätung! Im herrlichen, demokratischen Schlosstheater Friedrich des Großen im neuen Palais mit seinem amphitheaterhaft roten Samtsitzreihen. Die Putten mit ihren Schmetterlingsflügeln sind genauso noch vorhanden, wie die Blumenfestons, die goldenen Gitter, der seinen Hals verrenkenden preußische Wappenadler über dem Bühnenportal und vor allem die schönen Säulen, die unter der Decke in Palmblättern enden. Alles so schmuck wie immer, denn die lange Renovierungszeit war nicht für das propere Interieur reserviert, sondern vor allem für den offenen Dachstuhl darüber. Den nämlich hatten DDR-Behörden einst mit gesundheitsschädlichen Holzschutzmitteln tiefengetränkt.

Und jetzt also trötet, flötet und singt es wieder los, denn die Potsdamer Musikfestspiele 2021 konnte doch noch ein wenig der Pandemie trotzen und ein paar Livevorführungen auflegen. So auch die Oper „Pastorelle en musique“ von Georg Philipp Telemann leider nur vor 80 statt 225 Zuschauern. Aber sie wurde auch live übertragen und am 26. kann man sie nochmal als Open-Air-Stream am Potsdamer Winzerberg sehen.

Wieder, wie schon 2019, bei den ersten von ihr als Intendantin geleiteten Musikfestspielen mit Bonincinis „Polifemo“ am Ersatzspielort Orangerie, stand die Flötistin Dorothee Oberlinger diesmal – bis auf eine kleine Einlage – nur dirigierend vor ihrem Ensemble 1700. Telemanns knapp zweistündiges Schäferspiel, als Hochzeit-Serenata aus seiner Frankfurter Zeit von 1715 eher eine Ausnahme in seinem riesigen Werkkatalog, zum Teil auf französisch, zum Teil auf italienisch oder deutsch gesungen, spult sich nicht von selbst ab. Die erst 2002 mit dem Notenarchiv der Berliner Sing-Akademie aus Kiew zurückgekehrte Partitur ist galant-gefällig. Aber es finden sich in der harmlosen Geschichte um ein unschlüssiges und ein sehr verliebtes Schäferpärchen plus eine ewig außen vor bleibende lustige Person wenig dramatische, gar spannende Momente.

Das plätschert so dahin, nett, elegant, unverbindlich. Einmal zwitschern ein paar Vogelpfeifchen, einmal spielt ein Geiger feurig auf, was hier gleich aus dem Graben Yves Ytier mit wilden Tanzschritten die Violine traktierend auf die Bühne lockt. Und schließlich erscheint mit ein paar Wolken sogar ein properer Cupido (Max Volbers) persönlich und verführt die widerspenstige Caliste (ursprünglich eine Nymphe) mit seinem Flötenspiel dazu, endlich ihren Damon zu lieben.

Dorothee Oberlinger hat sich neuerlich für eine Inszenierung im Stil der Zeit entschieden. Dagegen ist nichts zu sagen. Die von ihrem Ehemann Johannes Ritter gestaffelte Kulissenbühne zeigt eine allerliebst gepinselte Baumlandschaft, die später in Sonnenuntergangsrosa leuchtet und einen mittels Leinwandkurbel „fließenden“ Bachlauf. Daran aber sieht man sich ab, denn es gibt keinerlei Szenenwechsel. Und die Regie von Nils Niemann beschränkt sich leider nur auf gefällig arrangierte Tableaux, Hüpfen auf der Stelle und Verlagerung vom Stand- aufs Spielbein. Da wäre historisch informiert sehr viel mehr drin gewesen, um die singenden fünf plus drei Paare Chorleute vom Vocal Consort Berlin abwechslungsreicher zu führen. So lahmt das Spiel, wie schon vor zwei Jahren der „Polifemo“, obwohl dabei in der griechischen Sagen-Ägäis entschieden mehr los war.

Angesichts soviel arkadischer Arglosigkeit um ein wenig Verwirrung der Gefühle muss man sich mit den Singstimmen begnügen: die zaudernde Caliste wird herzig frisch von Lydia Teuscher gesungen, ihre weniger rebellische Freundin Iris verkörpert mit ebenfalls feinem Sopran Marie Lys. Der ehemaliger St. Florianer Sängerknabe Alois Mühlbacher, als solcher schon Kindersopranstar, ist der frohgemute Amyntas mit schönem Counterenor-Strahl, Florian Götz gefällt baritonal warm als sein ein wenig ins Zweifeln kommende Freund Damon. Den ewig ungeküsst bleibende, sich für leibliche Genüsse entscheidende Knirfix brummelt gekonnt Virgil Hartinger.

Keinerlei Schärfe oder Zuspitzung auch aus dem Graben, wo die Frau Intendantin ein flüssig schlagendes Dirigierregime führt. Wäre da nicht das gelegentlich prunkende Blech, schon in der ausufernd wechselhaften Ouvertüre, man könnte selig musikumspielt vor sich hindösen, und hätte doch nicht viel verpasst. Aber Hauptsache, das herrliche Potsdamer Theater ist wieder bespielt und musikumhüllt. Die Produktion wandert übrigens weiter: zur Musica Bayreuth, den Innsbrucker Festwochen der Alten Musik und den Magdeburger Telemann-Tagen.

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