Einziges deutsches Bachfest 2020: die Köthener Bach-Festtage finden statt

Preisfrage: Welche Komponistengattin hat ihre Allerwertesten gerne als Giovanni beturtelt? Nein, nicht Signora Pergolesi oder Paisiello (beider waren gar nicht verheiratet), eine ganz treudeutsch-sächsische Dame. So nannte zu Leipzig Anna Magdalena ihren Johann Sebastian. Und deshalb hat kann man jetzt bei dem zu dessen Ehren im Sachsen-anhaltinischen Köthen stattfindende Festival auf sein Wohl das kühlblonde, vom lokalen Brauhaus kredenzte Festspielbier „Giovanni“ gluckern.

Dieses Jahr ist nicht nur solch flüssige Leckerei besonders, besonders ist es auch, dass die 1967 gegründeten und seither im Zweijahresabstand stattfindenden Bach-Festtage als einziges der deutschen Bachfeste auch in Corona-Zeiten abgehalten wird. Vom 2. bis zum 6. September, eingeschränkt, mit nur 45 Minuten langen Konzerten, aber immerhin. Und ein schöner Grund, in dieses wieder schmucke, einstige Sachsen-Anhaltinische Residenzstädtchen mit heute knapp 26.000 Einwohnern zu fahren. Von Berlin sind es mit einmal Umsteigen nur 100 Bahnminuten.

Und ganze 10.000 Seelen waren es Anno 1717 im kompletten Fürstentum, als Johann Sebastian Bach sich hierher an die achte von seinen neun Lebensstationen locken ließ. 400 Häuser und 1000 Einwohner gab es in der Hauptstadt des Mini-Landes mit kaum 30 Kilometer Durchmesser, aber gleich zwei Glaubensbekenntnisse: reformiert und lutherisch. Fürstentum war man nur vom Anfang des 17. Jahrhunderts, bis 1847, als die inzwischen katholisch gewordene Linie ausstarb und der Besitz erst an Anhalt-Bernburg, dann an Anhalt-Dessau fiel.

Die Familie war zudem zerstritten, was weitere Landesteilungen zur Folge hatte. Und trotzdem war der Posten als Hofkapellmeister für Bach attraktiv, schließlich hatte der erst 22 Jahre junge, aber sehr musikliebende Fürst Leopold die vom Berliner Soldatenkönig aufgelöste Preußische Hofkapelle zu großen Teilen übernommen. Obwohl er sich das eigentlich nicht leisten konnte. Bach ging sogar, weil ihn sein Weimarer Dienstherr erst nicht entlassen wollte, dort für einige Wochen ins Gefängnis.

In Köthen hat er dann vielfältige, leider zu großen Teilen verlorengegangene weltliche Musik komponiert, darunter die Brandenburgischen Konzerte, die Cellosonaten, die Violinsolosonaten und Partiten womöglich für einen sehr guten Geiger, Teile des Wohltemperierten Klaviers. Hier starb 1720 seine erste Frau Maria Barbara und hier heiratete er ein Jahr später die „Singejungfer“ Anna Magdalena.  

So wurde dieses Duodez-Dings also unsterblich. Aber noch andere großen Geister zog es hierher. Der Begründer der Homöopathie Samuel Hahnemann wirkte viele Jahre vor Ort, und der homöopathische Weltärzteverband hat in Köthen seinen Sitz. Fürst Ludwig von Anhalt-Cöthen gründete 1617 die Fruchtbringende Gesellschaft, auch Palmenorden genannt, die erste, mit 890 Mitgliedern auch größte deutsche Sprachakademie. Anfang des 19. Jahrhundert lebte und wirkte hier schließlich Johann Friedrich Naumann, ein deutscher Ornithologe, der als Begründer der Vogelkunde in Mitteleuropa gilt.

Seine komplette Sammlung ist im Köthener Schloss ausgestellt, ebenso gibt es dort neben anderen Museen eine Bachgedenkstätte, auch wenn der Große Saal 1830 als Geburtstagsgeschenk für die Fürstin Juliane, eine preußische Prinzessin, klassizistisch umgebaut wurde und heute frischrenoviert in aller Pracht glänzt.

Hier finden natürlich einige Konzert auch der Bach-Festtage statt, aber ebenso in den Kirchen, wie etwa der nahen St. Agnus, wo der Pfarrer sogar den Abendmahlskelch aufbewahrt, aus dem Bach getrunken hat. Den heiligen Bach-Gral, sozusagen. Im Beichtregister hat er mehrmals als „Capellmeister“ samt „Frau Bachin“ unterschrieben.

Die ganze kleine Stadt ist hübsch aufgeputzt, von der sozialistischen Mängelwirtschaft ist zum Glück nicht mehr viel zu sehen. Ein weitere wichtiger Konzertort ist der akustische tolle Johann-Sebastian-Bach-Saal der in die Umfassungsmauern der eingestürzten Reithalle hineingebaut wurde. Das ursprüngliche Renaissance-Schloss, das viel erlebt hat, das Polizeistation, Gefängnis und Gymnasium war, ist heute eines der Projekte der Initiative Trafo der Bundeskulturstiftung und soll unter dem Motto „Ein Schloss als Schlüssel zur Region“ mit der heutigen Zivilgesellschaft als Kulturareal wiederbelebt werden. Eine Kreismusikschule sitzt hier, und für ein paar Tage wird es nun wieder von den Bach-Festtagen bespielt.

Die veranstaltet nun zum dritten Mal der versierte Kulturmanager Folkert Uhde. „Leidenschaftlich familiär“ ist sein Motto, auch wenn er sich mit maskenverziertem Bach-Konterfei diesmal bescheiden musste. Aber nicht im Anspruch: Ragna Schirmer spielt am 2. Gleich fünfmal die Goldbergvariationen, Cembalistin Christine Schornsheim tritt mit dem Lautenisten Joachim Held auf. Praktischerweise hat der Chef der Musikinstrumenteabteilung des Germanischen Nationalmuseums vor Ort im Prinzenhaus eine wunderfeine Sammlung historischer Tatsteninstrumente vorrätig, in der sich die meist schwer begeisterten Festivalkünstler bedienen dürfen.

Isabelle Faust aber bringt ihre eigene Stradivari mit. Gambensonaten werden zu Ehren des in Köthen geborenen und später in London berühmt gewordenen Gambisten Carl Friedrich Abel geben. Hana Balzikova singt mit dem Köthener BachCollektiv Kantaten, ebenso der Altus Valer Sabadus, der zwei, kürzlich im Archiv der Berliner Singakademie entdeckte, vermutlich seit 1712 nicht mehr gesungene italienische Kantaten von Bachs Vorgänger August Stricker dabeihat, die auch hier gedruckt wurden.

Avi Avital und Ohad Ben-Ari führen Bach-Sonaten für Violine und Cembalo mit Mandoline und Hammerflügel auf. Und in der Kirche St. Jakob mit ihren im 19. Jahrhunderts hinzugekommenen Doppeltürmen gibt es zum Beispiel nicht nur einen exotischen Bach perkussiv mit Emil Kuyumcuyan. Vor dem Altar kann man auch in die Fürstengruft hinabsteigen, wo so malerisch wie gruselig die teilweise halbzusammengebrochenen Särge der einstigen Souveräne gestapelt stehen.

Nur schade, dass das einstige Bach-Wohnhaus in den Sechzigern durch eine DDR-Schachtel ersetzt wurde. Immerhin ist dort jetzt im Erdgeschoss ein Hörhilfen-Geschäft! Darauf noch ein „Givanni“.

Köthener Bach-Festtage; 2. bis 6. September; bachfesttage.de

SHARE

Schreibe einen Kommentar