Hörfunk-Tipp: Jakub Hrůša und Frank Peter Zimmermann mit Rarem aus Tschechien und Ungarn mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin

Freude! Ein Live-Konzert, bei dem man Mäuschen spielen kann. Die Berliner Kulturoberen haben es dem Publikum wie auch der Presse nicht leicht gemacht. Lockdown total, es durfte nur gestreamt werden, in den Opernhäusern und Konzertsälen sind – anders als etwa in Wien oder Madrid – nicht einmal berichterstattende Journalisten erlaubt. Umso kostbarer, wenn man im ehrwürdigen Haus des Rundfunks bei einer Konzertaufnahme des Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin für den Hörfunk dabei sein darf. Natürlich getestet. Und dann noch mit solchen Künstlern wie Jakub Hrůša und Frank Peter Zimmermann! Ja, eben: Freude!

Der tschechische Dirigent konnte ganz kurzfristig für die Erste Gastdirigentin Karina Canellakis einspringen, da man aus dem coronageplagten Tschechien seit ein paar Tagen wieder ausreisen darf. Das Jubiläumskonzert zum 75. Geburtstag seines eigenen Orchesters, der Bamberger Symphoniker im März musste er noch dem Ehrendirigenten Christoph Eschenbach überlassen. Improvisation ist gegenwärtig im lange vorausplanenden Klassikgeschäft alles, deswegen ging es für Hrůša nach der heute gesendeten Aufzeichnung vom 24. April gleich weiter zum Orchester der Tonhalle Zürich, wo eben der Betrieb vor 50 Zuschauern wieder hochgefahren ist.

Mit dem besten deutschen Geiger Frank Peter Zimmermann, zurückhaltend, aber superinterpretationsstark, verbindet Jakub Hrůša eine bewährte Partnerschaft. Die gerade eben mit dem Bamberger in Hörgestalt der beiden Violinkonzerte von Bohuslav Martinů bei BIS eine großartige CD-Produktion ermöglicht hat Und auch für das aktuelle Konzert liegt der Schwerpunkt auf selten zu hörendem tschechischem Repertoire, ergänzt um einem Schlenker nach Ungarn.

Im Großen Sendesaal des rbb herrscht die übliche Arbeitsatmosphäre. Und auch wenn nach jedem der vier Stücke, noch ein wenig nachgebessert und optimiert wird, der Tonmeister unterbricht den noch perfekter werden wollenden künstlerischen Enthusiasmus: „Meine Herren, das ist immer noch eine Konzert- keine Studioproduktion“. Und da sind die Korrekturmöglichkeiten endlich. Trotzdem sind, wohl für die Fotos?, alle in schwarzen Hosen, Hemd bzw. Blusen gekommen, auch Dirigent und Solist tragen Konzertkleidung. Alle halten ihre Mindestabstände ein, im Saal herrscht Maskenpflicht. Vor dem Podium allerdings steht ein Stuhl-, Instrumente- und Kistendurcheinander: das Deutsche Symphonie-Orchester ist parallel ebenfalls für einen Konzertproduktion im gemeinsam genutzten Saal.

Man spielt sich gemächlich warm mit dem sechsminutenkurzen, dunkel-satten, englischhornüberschwebten Adagio für Orchester von Leoš Janáček. Das Frühwerk von 1881, motivisch verwandt mit der Oper „Šárka“, steht als dessen einziges Opus im abgründigen d-moll. Janácek hatte damals zudem gerade auch seinen Sohn Vladimir verloren. In ruhigem Fluss zieht das Werk dahin, Jakub Hrůša und das RSB kennen sich gut, man sieht und hört es sofort. Da ist ein freundliches, rasch reagierendes Einverständnis. Und auch Frank Peter Zimmermann wird später sagen, wie wunderbar und ideal das Orchester seinen Martinů ausspielt.

Im Zentrum des Konzertes steht also Zimmermann mit zweier ländlich-folkloristisch geprägter Werke, die sich beide nicht Violinkonzert nennen: Béla Bartóks Rhapsodie Nr.1, die Volksmelodien aus dem Gebiet des ehemaligen Königreiches Ungarn verarbeitet. Und die Ende der Dreißiger komponierte, 1943 ein einziges Mal mit Geige und Klavier gespielten, aber erst 2000 in ihrer Originalgestalt uraufgeführte Suite concertante für Violine und Orchester von Bohuslav Martinů, wo sich Elemente tschechischer wie mährischer Volksmusik apart mischen.

Die Themen jenen Volksmelodien, die Bartók vor dem Ersten Weltkrieg und zwischen den Kriegen in den Weiten Ungarns sammelte, beleben auch die Rhapsodie. Uraufgeführt wurden sie von dem Cellisten Jenö Kerpely 1929 in Budapest, aber ein halbes Jahr später von dem Geiger Joseph Szigeti in Berlin popularisiert. In dieser Fassung kommt das ungarisch-rustikale Klangkolorit noch deutlicher zum Ausdruck. Zimmermann schwelgt darin, pendelt zwischen den sich zum Csárdás fügenden Lassú und Friss, samt feiner Zymbal-Beimischung. Die Synkopen und penetrant wiederholten Akkordgriffe wirbeln flott, wenngleich „der Stallgeruch ungarischer Gehöfte und der Tabakrauch ländlicher Weinstuben“, den mancher hier ersehnt, zum Glück nicht durch die Masurenallee zogen.

Noch lohnender anschließend Martinůs so selten gespielte neoklassische Suite concertante. Toccata ist ein angemessener Titel für den schnellen, motorischen ersten Satz. Es folgt eine versonnenen, zart ausgesponnene Aria als sanfte Meditation. Einem wilden Scherzo, auch als vogelverzwitschertes Intermezzo bezeichnet, schließt sich das belebte Rondo-Finale mit seiner eher rhapsodischen Anlage an in dem Martinů ein berühmtes tschechisches Volkslied: „Hop hej, cibulári jedou“ („Hopp-hei, die Zwiebelhändler kommen“) zitiert. Frank Peter Zimmermann und Jakub Hrůša spielen das wirklich vereint als Comrads in Classic Crime. Toll!

Viel Sorgfalt lässt Hrůša dann auch nach der Pause dem von ihm geschätzten Vítězslav Novák (1870-49) und seinem berühmtesten Werk, der Slowakische Suite für kleines Orchester, angedeihen. Novák, der ebenfalls für den Film komponiert hat, wurde ganz besonders von Erich Kleiber gern gespielt, daran erinnert Hrůša die Musiker. Die Inspiration für das fünfteilige Werke speist sich aus einer Reise, die Vítezslav Novák 1896 in die entlegene Valassko-Region im Grenzgebiet zwischen Böhmen und Mähren unternommen hatte. Er war entzückt von der Landschaft und noch mehr von der einheimischen Volksmusik, die ihm wie eine Offenbarung vorkam und die zur Grundlage zu seiner höchst persönlichen Musiksprache wurde. Zackige Rhythmen, veraltete Tonarten, quart- und quintdurchtränkte Melodik und die Klänge der einheimischen Zimbel prägte nunmehr seine Musik wie auch die Slovácká svita, op. 32 von 1903, eine liebevolle Huldigung an das ländliche Leben im Dorf Javorník,

Der erste Satz (In der Kirche) stellt einen protestantischen Gottesdienst samt einer Predigt des Dorfpfarrers und eines protestantischen Kirchenchorals dar. Im zweiten Satz (Unter Kindern) werden der Übermut und die Lebensfreude der einheimischen Knaben und Mädchen lebhaft skizziert. Beim dritten Satz (Die Verliebten) handelt es sich um das Liebeslied eines jungen Slowaken mit dazu gehörigen Neckereien und abschließender versöhnlicher Umarmung. Der 4. Satz (Beim Tanz) schildert eine überschwängliche Szene in einer Dorfschänke, in der das Einstimmen der Instrumente und die virtuosen Passagen des Primarius deutlichen zu hören sind und die – nach einem Quasi-Dudelsack-Einschub – in einem immer schneller werdenden Tanz endet, bei dem sämtliche Tanzpaare wild herumwirbeln. Der fünfte Satz (In der Nacht) entpuppt sich als sanftes Notturno, bei dem die Kontrabässe diskret schweigen.

Herrlich und könnerisch ist das gespielt. Und wie schön plastisch und voll hört sich das live im Saal an! Sogar Blumen für die Solist und Dirigent gibt es, diesmal von Orchestermitgliedern.

Um 20.03 Uhr auf Deutschlandfunk Kultur zu hören und dann in der Mediathek abrufbar

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