Was wird da werden? Spekulationen über Christian Thielemann und Dresden

Sächsische Staatskapelle / Matthias Creutziger

Die zweieinhalb „Capriccio“-Premierenstunden vom Samstag, die erste komplette Oper, die seit dem 10. März 2020 in der Semperoper vor immerhin ein paar Journalisten- wie Technikerohren erklungen ist, sie hallten noch nobel nach, als Montags das Sächsische Kulturministerium bekannt gab, dass man Christian Thielemanns Vertrag als Chef der Staatskapelle Dresden nicht über des Ende im Sommer 2024 hinaus verlängern wolle. Eine etwas disharmonische Überraschung. Auch der Intendantenvertrag von Peter Theiler wird nur um ein Jahr bis zu diesem Zeitpunkt gestreckt.

Die sächsische Kulturministerin Barbara Klepsch (CDU) gab stattdessen die „Perspektive Semper 2030“ aus, alles soll in Dresden neu, digital, inklusiv und schick werden. Sie sagte dazu im MDR: „Wir sehen dabei das, was heute gut ist, und denken trotzdem an das Übermorgen der Oper. Und eine Oper in zehn Jahren wird eine andere als die Oper von heute sein: Sie wird teilweise neue Wege zwischen tradierten Opern- und Konzertaufführungen und zeitgemäßer Interpretation von Musiktheater und konzertanter Kunst gehen müssen.“

Gut so. Aber musste dieser harsche, und vor allem rüde, Christian Thielemann düpierende Schritt sein? Peter Theiler wird dann 67 Jahre alt sein, er scheidet also eigentlich ganz normal im Rentneralter aus. Seine Ära war solide, mehr nicht, mit Thielemann hatte er sich von Anfang an – keine Überraschung, wenn man beide ein wenig kennt –  hinter den Kulissen gezofft, seit einiger Zeit auch öffentlich, weil er in der Cornonakrise kaum etwas wagte, der Kapelle und ihrem Chef vor allem das übliche Strauss- und Wagner-Kraftfutter für große Besetzungen verweigerte. Thielemann freilich soll dem Vernehmen nach sowieso am Anfang der Pandemie keine Lust auf gar nichts gehabt haben.

Innerhalb der Staatskapelle will man von dieser Ministerin-Entscheidung nichts gewusst haben, freilich ist dort die Meinung über ihn, wie in fast jedem Orchester, gespalten. Bei der Verlängerung des ersten Vertrages, der 2019 ausgelaufen wäre, ging es wohl ziemlich ruckelig zu. Inzwischen hat er sich zudem ausbedungen, auf Tourneen höchstens jeden zweiten Tag dirigieren zu müssen (er wolle sich etwa in Paris zwischendurch auch mal Versailles anschauen können, so eine üblich flapsige Bemerkung; außerdem hatte er Gesundheitsprobleme), was Gastspielen der Staatskapelle automatisch teurer macht. Aus anderen Quellen hört man auch, er habe um einen Vertrag auf Lebenszeit gepokert, so wie ihn sein großes Vorbild Karajan bei den Berliner Philharmonikern hatte.

Zum „Chefdirigent auf Lebenszeit“ ist auch Daniel Barenboim von der Berliner Staatskapelle ernannt worden. Doch das ist kein rechtlich bindender Titel, dessen Vertrag reicht (hoffentlich nur) noch bis 2027. Und er hat für dieses Orchester – auch historisch bedingt – unendlich viel mehr getan als Thielemann seit nunmehr 2012 in Dresden, wo er bei den wenigen Dirigaten als Kapellenchef (nur höchstens 10 in der Oper, um die dann der Restspielplan gebaut werden musste) seine üblichen Favoriten Beethoven, Weber, Brahms, Bruckner, Strauss gepflegt hat; nur wenig hat sich hier sein sowieso schon kleines Repertoire verbreitert, gar erneuert.

Dafür war Thielemann wohl mit daran beteiligt, dass der nach dem Tod von Ulrike Hessler und langen Interimsjahren neuberufene Intendant Serge Dorny (der im Sommer in München anfängt) seinen Job gar nicht erst antrat. Nach einem Rechtstreit, den das Land über mehrere verlorene Instanzen führte, musste der Belgier teuer abgefunden werden. Auch Orchesterdirektor, diverse persönliche Referenten, Pressesprecher und Dramaturgen der Staatskapelle haben die direkte Nähe zu Christian Thielemann offenbar wenig genossen und sind während seiner Amtszeit inzwischen alle geflüchtet.

In Salzburg kam es zum von dort wohlkalkulierten Krach mit dem neuen Intendanten der Osterfestspiele, wo Thielemann samt Kapelle nach dem unschönen Abgang der Berliner Philharmoniker nach Baden-Baden seit 2013 als Residenzorchester fungierten. Damit ist auch dort für beide nach Ostern 2023 Schluss; ein herber Schlag für die Kapelle, die sich dort gern ein Zubrot verdiente.

Es wird also einsam um Christian Thielemann. Wieder mal. Nach den tumultösen Abgängen in Nürnberg, an der Deutschen Oper Berlin, bei den Münchner Philharmonikern und den Osterfestspielen Salzburg endet nun auch diese Chef-Ära nicht freiwillig und friedlich. Denn was will er jetzt machen? Die Berliner Philharmoniker dirigiert er zweimal im Jahr, als Chef wollten sie ihn nicht. Die cheflosen Wiener Philharmoniker haben ihn regelmäßig bei einigen ihren wenigen Konzerte, machen meist auch einmal im Jahr eine Tour mit ihm. Bei den Bayreuther Festspielen hat er inzwischen keinen Vertrag als Musikchef (der er sowieso nie wirklich war) mehr; als längstgedienter Dirigent seit weit über 20 Jahren hat er dort sowieso bis auf eine „Parsifal“-Premiere alles durch.

Die freilich, die 2023 neu kommen soll, hat Leiterin Katharina Wagner dem Vernehmen nach eben anderweitig vergeben, weil Thielemann wegen des 475-jährigen Jubiläums der Staatskapelle keine Zeit hatte. Wie er überhaupt künftig jeden Sommer mindestens einmal in Salzburg mit den Wienern gastieren will und ab Mitte August bei den Dresdnern anfangen muss, zumindest nun noch drei Sommer lang. Auch ein neuer „Tristan“ in Bayreuth 2024 ist wohl schon besetzt, so dass für Thielemann neben einem Konzert diese Saison und der „Lohengrin“-Wiederaufnahme 2022 nicht viel Möglichkeiten am Grünen Hügel bleiben. Es sei denn, er dirigiert mal die Kinderoper, obwohl Education bisher nicht so sein Ding ist; auch eine Orchesterakademie wird dort schon länger diskutiert.

Christian Thielemann könnte natürlich, wie einst etwa Karl Böhm, sich als Mittsechziger einzig auf Gastspiele konzentrieren. Doch wo? Eben hat er – nach 18 Jahren – seine erstes Orchesterdebüt beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks gegeben. Dort aber hat man eben Simon Rattle als neuen Chef engagiert. Thielemann hat seit gut 20 Jahren an keinem anderen Opernhaus als in Bayreuth, Dresden, Wien und Salzburg zu Ostern mehr gastiert. Die Konzertkontakte nach England, Italien oder in die USA sind längst gekappt, müssten mühsam wiederaufgebaut werden. Natürlich wird ihn Bodgan Roscic für die Wiener Staatsoper weiter umgarnen, vermutlich wird ihn dessen Vorgänger Dominique Meyer an sein neues Haus, die Mailänder Scala, zu locken versuchen. Dort aber dirigiert der bis 2026 amtierende Chef Riccardo Chailly ebenfalls gern Strauss und Wagner.

Und wer wird in Dresden nachfolgen, wo man jetzt durch diese Nichtverlängerung natürlich ein schimmerndes Renommee als Wagner- wie Strauss-Orchester mit einem trotz aller Defizite klingenden und hochkompetenten, auch gut verkäuflichen Namen aufs Spiel setzt? Das Ministerium wird sicher verjüngen wollen. Also wohl keine guten Karten für den bestimmt schon auf den Posten spekulierenden, dann ebenfalls bereits 64-jährigen Franz Welser-Möst. Der hätte neben oder nach seinem ewigen Cleveland-Chefposten sicher gern wieder ein Opernhaus. Er hat sich in Dresden zumindest in Kapellenkonzerten längst bewährt. Aber im Kernrepertoire ist er dann auch eben nicht so gut und zugkräftig wie Thielemann. Wird es also eine Frau? Hat der Koreaner Myung-whun Chung (68), der hier seit Jahren solide, aber unauffällig präsent ist, noch eine Chance? Was ist mit Omer Meir Wellber (39), der als einziger neben Thielemann große Mozart- und Strauss-Premieren bekommen hatte, immerhin als erster Gastdirigent geführt wird, aber noch drei andere Jobs in Manchester, Wien und Palermo bekleidet?

Eine Frau könnte man sich allerdings wieder auf dem Intendantinnensessel vorstellen. Und warum nicht die ausgleichende Schweizerin Nora Schmid (42), die in Dresden schon mal Dramaturgin und Interimsleiterin war, und seit 2015 an der Oper Graz bella figura macht? Deren Vertrag läuft übrigen gegenwärtig bis 2023. Würde also passen….

Und auch wenn sie ihr dort die drei Jahre Amtszeit wegen internationaler Verpflichtungen nicht eben leicht gemacht hat, Oksana Lyniv, die dieses Jahr just als erste Frau in Bayreuth debütieren soll, war in Graz Chefdirigentin. Die könnte man sich auch gut am Chefinnenpult der Staatskapelle vorstellen…

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Ein Kommentar bei „Was wird da werden? Spekulationen über Christian Thielemann und Dresden“

  1. […] hin­ein spe­ku­liert. Da ver­wei­se ich dann doch lie­ber auf Ma­nu­el Brug, der sich auf Brugs Klas­si­ker mit al­ler­hand zu­sätz­li­chem De­tail­wis­sen fragt, was mit Thie­le­mann wohl […]

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