Klaus Mäkelä und Igor Levit: starke und junge Überzeugungstäter im vorerst wieder mal letzten Münchner BRSO-Konzert

Alles nur Vergnügen – so wie Spielhallen, Spielbanken, Bordellen und Fitnessstudios, in deren Reihung sich seit einiger Zeit selbst im angeblichen „Kulturstaat“ Bayern die Theater, Opernhäuser und Konzertsäle wiederfinden. So wie es Landesherrscher Markus Söder sieht, dem Schöngeistigen jenseits des Veitshöchheimer Fasching eher wenig zugeneigt. Und so wird selbst trotz katholischer Lebensart, ganz puritanisch-pietistisch-protestantisch entschieden: kann weg, macht zu – pandemiebedingt. Aber vorher gibt das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks noch ein konzertantes Lebenszeichen – vor 50 Zuhörern im eigentlich mehrfach ausverkauften Münchner Herkulessaal. Zunächst in Form eines dreiminütigen gemeinsamen Schweigens, das aus Aufzeichnung der Stile ohne Kultur in künftigen Solidaritätsaktionen verwendet wird.

Ursprünglich sollte Yannick Nézet-Séguin dirigieren, hier und bei diesem Klangkörper sehr geliebt, der wollte aber nicht aus Kanada anreisen, so wie dieses Marketing-Genie seit Covid-19 seltsam stillgeworden ist, er auch sein seit April nicht mehr bezahltes, längst grausam dezimiertes Met-Orchester sprachlos im Pleiteregen stehen lässt. Und jetzt, Igor Levit spielt einmal mehr als Artist-in-Residence des SOBR mit, steht am Pult ein Einspringer, der hier schon vor Monaten besten Figur gemacht hat: Klaus Mäkelä, 24 Jahre alt. Wieder einer aus der finnischen Panula-Dirigierschmiede, bereits Chef zweier Eliteorchester. Er sieht in seinem korrekten Anzug mit weißem Einstecktuch, das findet man selbst bei jungen Pultmeistern nur noch selten, wie ein Konfirmand aus.

Macht aber nichts, denn Mäkelä hat seinen erwartungsfrohen Klangkörper bestens im Griff. Das merkt man, pandemiebedingt gibt es keine großen Orchesterstücke, nur Streicherdivertimenti, gleich bei Strawinskys eckigem Concerto en ré. Mit wenigen Akzenten hält er diesen rhythmisch beschwingte, hurtig abschnurrenden 20-Minüter am Laufen. In bewährt neoklassizistischer Manier wechselt der Komponist zwischen Tutti-Truppe und Solo-Concertino, die BR-Streicher hüpfen munter mit. Und im Arioso wird schnell die Lust am Ausdruck und an Klangfarben deutlich, auch wenn Strawinsky die hier eher sarkastisch gleichmütig leuchten lässt, nichts wirklich ernst meint, gleich wieder auf gespreiztes, hektisch huschendes Virtuosentum setzt.

Ganz innerlich und still – ist das also Söders „Vergnügung“? – dann Mozarts Klavierkonzert KV 271, das gern „Jeunehomme“-titulierte in Es-Dur. Ruhig und konzentriert setzt Igor Levit seinen Einsatz inmitten der Orchesterexposition. Beim Präludieren fasst er Tritt, aber immer bleibt er im Gesamtorchesterklang zurückhaltend, obwohl ihm Klaus Mäkelä wach, dabei  gelassen folgt. Man spielt einen Mozart ohne Ecken und Kanten, rasch, schwerelos, dabei besonders im ausdrucksvollen Moll-Mittelsatz träumerisch, versenkungsbereit, aber nie verzärtelt, gar sentimental. Der Ausdruck, obwohl tiefsinnig, bleibt sachlich. Levit mischt seine klare Technik mit wacher, griffstarker Emotion, brilliert aber selbstbewusst spritzig im lange Rondofinale samt Solokadenz. Schönheit und Frische, so entdeckt eine jüngere Generation ihren Mozart.

Ebenfalls für Paul Sachers Baseler Kammerorchester entstand 1939 Béla Bartóks Divertimento für Streichorchester, das so gar nichts Rokoko-Heiteres mehr hat. Sehr direkt und deutlich meißelt Klaus Mäkelä das Bohrende, Drohende, Unheimliche dieser Musik heraus, die jähen Dynamikwechsel, er modelliert förmlich die blassen Farben in den einzelnen Gruppen. Melancholieschwer fallen auch die Anspielungen auf die ungarische Folklore aus.

Hier plötzlich atmet dieses Konzert sehr bewusst eine klangliche Antwort zur auch gegenwärtigen Zeitstimmung. Fahl und fatal scheint die. Und ähnlich düster tönt es hier, dabei meisterlich von rhythmisch pulsierenden Akkorden im Querstand durchdrungen. Leer scheint sich das das folgende Molto adagio einzupendeln. Dieser mehrteilige Satz wird zum Mittelpunkt auch von Klaus Mäkeläs wacher Deutung, die auch das aufmüpfige, gar nicht fröhliche Finale nicht mehr steigern kann.

Vergnügung? Eher Einkehr. 50 Menschen klatschen enthusiastisch, wissend, dass jetzt nur wieder für mindestens vier Wochen Musik nur aus der Konserve kommt. Immerhin, sie nehmen eine gute Konzerterinnerung mit in diese traurige Zeit

am Freitag, 30. Oktober, ab 20.15 Uhr im Fernsehen auf ARD-alpha sowie im Video-Stream auf br-kassik.de/concert und auf den Facebook-Kanälen von BR-KLASSIK und des Symphonieorchesters zu erleben

SHARE

Schreibe einen Kommentar