Mit Leidenschaft: André Messagers hübsche Twenties-Operette „Passionnément“ trotz dem Lockdown als Live-Rarität des Münchner Rundfunkorchesters

Was für ein Hörspaß, gerade in diesen Tagen! Das Münchner Rundfunkorchester, natürlich im Lockdown wie alle anderen Kultureinrichtungen in Deutschland, hat trotzdem eine rare Begegnung möglich gemacht. Nämlich mit André Messager und dessen fein moussierenden Operetten, hierzulande nicht eben oft gehört. Als neuerlich klangsaftige Frucht der sich nunmehr seit fünf Jahren und sechs Projekten ersprießlich hinziehenden Zusammenarbeit mit der franko-italienischen Stiftung Palazzetto Bru Zane bot man als Corona-konforme Live-Unterhaltung mit Witz und Garfunkel die musikalische Komödie in drei Akten „Passionnément“ via Radioübertragung.

Bru-Zane-Chef Alexandre Dratwicki, der mit seine Centre de musique romantique française eigentlich die vergessene Musik des 19. Jahrhunderts fördern soll, sieht solches nicht so eng und schaut auch gern über den Zeitleistentellerrand. Sei es nun in den Klassizismus, der auch über 1799 hinaus noch relevant war oder in die Verästelungen bis ins frühe 20. Jahrhundert. Insbesondere auch bei der Operette, die von seiner nunmehr elf Jahre existierenden Stiftung erst so peu à peu liebgewonnen und in ihr Förderprogramm aufgenommen wurde. Vor allem die Komponisten Hervé und Messager interessieren ihn da, so wird Dratwicki zum Wiederholungstäter.

Und so gab es nun nach den 1897 uraufgeführten und vor einiger Zeit als szenische Reiseproduktion für die vielen schönen französischen Provinztheater konzipierten und gern aufgenommenen Traditionsoperette „Les p’tites Michu“ nun konzertant in München im leeren Prinzregententheater, aber vor den Radiomikrophonen die 1926 uraufgeführte, chorlose, dafür mit damaligen Modetänzen flirtende Salonoperette „Passionément“.

André Charles Prosper Messager (1853-1929) war übrigens nicht nur ein äußert produktiver Komponist, den man bei uns höchstens aus dem nicht mehr vorhandenen Kurkonzert kennt. Ein Mann der leichten Musen mit Anspruch, der sich vor allem als Dirigent auch allerhöchste Weihen holte. Schließlich war dieser Kirchenmusiker und Organist, der sich abends in die Vaudevilles am Montmartre stahl, mit Gabriel Fauré und seinem Lehrer Camille Saint-Saëns gut bekannt. Von Claude Debussy wurde er gar so hochgeschätzt, dass er ihm, Messager war 1898 Direktor der Pariser Opéra-Comique geworden, 1902 die Uraufführung von „Pelléas et Mélisande“ anvertraute. Vorher hatte er schon Gustave Charpentiers „Louise“ und Massenets „Grisélidis“ aus der Taufe gehoben.

Sogar eine englische Karriere hat Messager von 1901 bis 1906 als Artistic Director am Royal Opera House Covent Garden in London gemacht, 1907–1913 wirkte er als Kodirektor der Pariser Opéra. Dank Frederic Ashtons (unlängst wieder aufgenommener) Choreografie wird bis heute sein heiteres Ballett „Les deux pigeons“ am Royal Ballet gezeigt, und in Frankreichs Provinztheatern begegnet man gern seinem Hauptwerk, der Opéra comique „Véronique“.

John Eliot Gardiner hat vor einigen Jahren Messagers frivol-melancholisches Venedig-Werk „Fortunio“ eingespielt, das eben auch neu auf DVD in einer Produktion der Pariser Opéra-Comique erschienen ist. Mit „Madame Chrysanthème“ vertonte Messager erstmals den späteren „Madama Butterfly“-Stoff. Und er blieb so lange en vogue, dass er im Alter noch für das Twenties-Glamour-Paar Yvonne Printemps und Sasha Guitry Comedies musicales verfertige, ja für den Revuestar sogar den Chanson-Schlager „J’ai deux amants“ komponierte.

Ganz in der Tradition der frivolen Opéra bouffe und der französischen O-Là-Là-Operette, greift das freigeistige „Passionément“ auch Einflüsse der Zwanzigerjahre auf, um eine amüsant-verdrehte Liebesgeschichte zu erzählen: Dem Einfluss des französischen Weins ist es zu verdanken, dass – nach einigem Trubel – ein bornierter Amerikaner Vernunft annimmt und eine bezaubernde Amerikanerin, nämlich dessen Frau, ihr Glück bei einem Franzosen findet und sich dafür scheiden lässt. Aber erst nachdem dessen Geliebte zu ihrem Ehemann zurückgefunden hat!

Nach der Uraufführung von „Passionément“ schrieb eine Zeitung, dass Messager in einer verzauberten Welt lebe, in der Traurigkeit und Erschöpfung nichts zu suchen haben. Das passt auch sehr gut, zumindest für diese höchst unterhaltsamen 90 Minuten, in diesen Tagen auf die klangopulente Kunst des Münchner Rundfunkorchester unter der versierten Leitung von Stefan Blunier. Der lässt es orchestral bitzeln und blubbern, dirigiert straff, dabei melodienverliebt.

Viel Spaß machen die perfekt gewählten Sänger. Die durchaus reife Sopranistin Véronique Gens gibt die Amerikanerin Ketty, die sich für ihren eifersüchtigen Ehemann beim französischen Landgang als alte Frau verkleiden muss und schließlich ein Versteckspiel mit der falschen Existenz ihrer eigenen Nichte ausbalanciert. Vokal wirft sie dabei ihre Lebensklugheit wie Erfahrung mit dem Repertoire der französischen Romantik in die Waagschale. Ebenso kostet Véronique Gens genießerisch die doppeldeutigen Textnuancen des leichtgewichtigen und intelligent unanständigen Librettos von Maurice Hennequin und Albert Willemetz aus.

Der großartige Tenorcharakterkomiker Éric Huchet spielt ihren Mann William Stevenson, einen hartherzigen Geschäftsmann und Abstinenzler, der schließlich geläutert durch die Liebe von einem Betrüger zu einem freundlichen Mann mutiert. Er entdeckt die Freuden des französischen Weins und der wahren Passion – zur Zofe seiner Frau. Diese Julia singt, lebensklug und kein Flirt abgeneigt in bester Despina-Tradition, die kräftig stimmzupackende Australierin Nicole Car.

Deren echter Gatte, der baritonwarme Frankokanadier Etienne Dupuis, ist wiederum der französische Geschäftspartner Robert Perceval, der sich in Kitty alias Margaret verguckt und unter sämigem Absingen des titelgebenden Walzerlieds mit Ohrwurm-Status seine Geliebte Hélène (nicht sonderlich darüber betrübt: Chantal Santon Jeffery) abstößt. Deren Mann ist als Sprechrolle gar nicht präsent, dafür aber der fesche Schiffskapitän (Armando Noguera). Katja Schild spricht die Dialoge ersetzenden Zwischentexte.

Schwung und Nostalgie herrschen hier vor. Am Ende und viele heitere, ungemein in die Ohren, in den Bauch und in die Füße gehende Melodien, Walzer, Duetten und Ensembles später löst sich alles in durchaus nachdenkliches Wohlgefallen in Gestalt ganz neuer oder alter Zweierbeziehungen auf. Messagers Operettenwelt ist ein wenig folle, drôle und hübsch gaie, man nimmt sich und andere nicht so ernst, das aber immer so espritvoll wie elegant.

Gerade ist das letzte Produkt Bru Zane/Münchner Rundfunkorchester, Reynaldo Hahns exotische Südsee-Opernromanze „L’Île du Rêve“ als wie stets geschmackvoll aufgemachtes CD-Buch erschienen, auch „Passionément“ ist für eine Veröffentlichung geplant. Kann aber bis dahin noch über drei Wochen lang auf br-klassik.de on demand gehört werden.

SHARE

3 Kommentare bei „Mit Leidenschaft: André Messagers hübsche Twenties-Operette „Passionnément“ trotz dem Lockdown als Live-Rarität des Münchner Rundfunkorchesters“

  1. Yes! Finally something about cbd gummies.

  2. Muchas gracias. ?Como puedo iniciar sesion?

  3. Seit fast zwei Jahren wage ich mich schon nicht mehr auf kulturelle Events, bei denen man mit anderen Menschen in Kontakt kommt. Umso mehr feiere ich diesen Beitrag, der wieder ein wenig Kultur näher an mein Großhirn führt. Vielen Dank dafür, Klaus

Schreibe einen Kommentar