Pandemie braucht Phantasie: Das DSO trotzt in Corona in der Kirche, im Wald und im Technoclub

Fotos: DSO/Camille Beck

Die tun was. Obwohl sie eigentlich nicht dürfen. Denn auch das Deutsche Symphonieorchester Berlin (DSO) ist, wie alle Kulturinstitutionen hierzulande, nach wie vor im Pandemie-Lockdown; einigermaßen komfortabel auf Kurzarbeit. Doch für Musiker eigentlich kein Zustand. Gut, man könnte, dafür sind Rundfunkorchester ja eigentlich da, für den Programmauftrag Repertoire einspielen, im historischen Haus des Rundfunks an der Masurenallee von Hans Poelzig, wo man nicht nur im Sendesaal residiert, sondern natürlich auch schon den tollen, ausgekachelten Lichthof erobert hatte.

Auch die Berliner Philharmonie, wo sich inzwischen allein die Philharmoniker virusverkrochen haben und keinen mehr reinlassen, war lange möglich. Dort ist der gerne innovative Klangkörper, der nicht zu Unrecht als der flexible, windschnittige unter den sieben Berlinern Orchester gilt, gleichfalls mutig geworden – natürlich unter Einhaltung aller Hygienebedingungen – und hat einzig für die Kameras mal anderes produziert. Man ist repertoiremäßig metaphorisch wie konkret durch den Raum geschweift, hat das Podium verlassen, um Neues zu schaffen: mal mit Simon Rattle, der so seine lang erwartete Rückkehr zum ersten von ihm in Berlin dirigierten Orchester feierte, mal mit Chefdirigent Robin Ticciati.

Über 100 Musiker spielten im halbdunklen Schattenreich von Rachmaninows sinfonischer Dichtung „Die Toteninsel“, erleuchten mit Klaus Langs neuestem Werk „ionisches Licht“ den großen Scharoun-Saal wie ein neu zu entdeckendes Objekt und suchten Wagner-Erlösung in innovativ visualisierten orchestralen Auszügen aus Wagners „Götterdämmerung“. Der dem Orchester wohlvertraute, in Berlin lebende Regisseur Frederic Wake-Walker, mit dem Ticciati auch Einiges an seinem Zweitarbeitsort, dem Opernfestspieljuwel Glyndebourne vorhat (ihr „Fidelio“ wurde ebenfalls Covid-ausgebremst), zeichnete für das Raum- und Lichtkonzept verantwortlich. Alles ist auf der DSO-Webseite im dso-player.de abrufbar.

Wake-Walker, mit dem das DSO in Berlin bereits einen halbszenischen Händel „Messiah“ in der Philharmonie realisiert hat, ist der optische Mastermind hinter zwei anderen, noch spektakuläreren Filmprojekten. Möglich wurden die nur, weil man die gesparten Philharmonie-Mieten, Aushilfen-, Solisten- und sonstigen Konzertkosten der durch den Lockdown verhinderten Konzerte zukunftsträchtig investiert hat. Video- und Stream-Content ist wichtig, das zumindest hat der blöde Virus klargemacht und wird auch, wenn wieder ein normales Konzertleben möglich sein wird, seine Rolle als digitale Möglichkeit zur globaleren Teilhabe weiterhin spielen.

Dieser Tage würde das Deutsche Symphonie-Orchester eigentlich die Konfetti aus seinen Fräcken und Blusen klopfen, die Anfang des neuen Jahres immer an die beliebten Silvesterkonzerte mit dem Zirkus Roncalli im Tempodrom erinnern. Auch die sind natürlich ausgefallen. Ebenfalls eine deutliche Etatersparnis, die stattdessen für ein Musikerausschwärmen nach Mitte und Rummelsburg, in die kürzlich wieder als Skulpturenmuseum der Berliner Romantik in Betrieb genommene Friedrichswerdersche Kirche Karl Friedrich Schinkels sowie in eine einstige DDR-Hundekuchenfabrik und heutigen Sisyphos-Technoclub verwendet wurden.

Und wie! Nachdem das Backstein-Gotteshaus nach langer Renovierung nur für eine Woche offen war, durften die dort dekorativ schwankenden Marmorgestalten nun selten zu hörende Klänge erleben. Im sanften Licht der kurzen Winternachmittagssonne intonieren zehn Blechbläser die „Canzoni in echo duodecimi toni à 10“ des venezianischen Spätrenaissance-Meisters Giovanni Gabrieli. „Im Exil – von Göttern und Menschen“ ist der zweiteilige Film betitelt. Dann tönen neoklassizistisch und gläsern nur die Streicher zwischen den antiken Helden und Unsterblichen mit der Strawinsky-Ballettmusik „Apollon musagète“.

Als irritierende Intermezzi sind zwischen Wohllaut und gefrorene Schönheit die „Coups d’ailes“ („Flügelschläge“) des in Berlin lebenden Tschechen Ondrej Adámek eingestreut. Die nämlich führt ein DSO-Bläseroktett, gut kleiderverpackt, im herbstlichen Grunewald auf. Auch diese, wie Insekten wispernde Mikrotöne wurden von einer Diva inspiriert –der befederten Nike von Samothrake im Louvre. Der Film ohne Publikum macht solche sinnfälligen Ortswechsel spielend möglich, bevor man im zweiten Teil in der nun nächtlich-mysteriösen Kirche Mozarts „Jupiter“- Sinfonie hört. Hier aber melden sich wieder zwischendurch zwei Waldbewohner – mit Brittens Oboen-„Metamorphosen nach Ovid“.

Bald wird auch der Ausflug in den sonst anderen Klängen vorbehaltenen Technokultklub online sein. Während draußen das verlassene Outdoor-Gelände mit Bar, Pizzahütte und Playgrounds im Regen trieft, klockert, klackert und krawallt es drinnen. In der üblichen Dancefloor-Beleuchtung der Hammahalle lassen Robin Ticciati und Freddy Wake-Walker die Musiker im Frack mit Krawums „Dusty Rusty Hush“ entfesseln. Auch diese industriel noise-Pandämonie wurde von Ondřej Adámek komponiert – für eine stillgelegte Stahlfabrik. Zufrieden wippt deren Schöpfer in der Ecke mit, während die Perkussionstruppe entfesselt rasselt. Und das imaginäre Publikum sitzt mittendrin im Sinfonieorchester. Morgens schon wurden die plötzlich improvisierenden Instrumentalisten der Regie vertrauend aus ihrer Komfortzone gelockt.

Das Laute schärft den Blick nach Innen. Der Mithörende taucht ein. Und das Virus erlaubt neue Orchesterperspektiven. Wenigstens das. 

„Im Exil – Von Göttern und Menschen“ I und II sind bis 17. Januar auf dso-player.de abrufbar, Teil III ab 14. Januar, 21 Uhr

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