Küsse in der Prom Night: Gounod „Roméo et Juliette“ nüchtern aufgeräumt in Zürich, aber traumschön gesungen

Für gewöhnlich gilt Charles Gounods Shakespeare-Adaption „Roméo et Juliette“ von 1867 als charmanter Schmachtfetzen, den die Opernhäuser ansetzen, wenn man zwei junge, heißblütige und bitte auch berühmte Sänger an der Besetzungsangel hat. Die dürfen dann lieben und leiden, seufzen und sterben, dass es die reine Vokalfreude ist. Irgendjemand arrangiert das gefällig, und irgendwer anderes schlägt dazu den Takt.

So kam das Stück in den letzten Jahren als intellektuell schmählich unterbewerteter Tummelplatz für Anna Netrebko und Rolando Villazón oder für Natalie Dessay bzw. Angela Gheorghiu und Roberto Alagna in Los Angeles, Wien, New York oder Salzburg neuerlich in Mode. Nimmt sich aber ein Regisseur mit Ambition des melodiensatten Vierakters an, so wie Harry Kupfer an der Komischen Oper Berlin, so bleibt mitunter nur ein blutig gekürzter, auf die vier hinreißend schönen, das Stück wie im Brennglas fokussierenden Duette reduzierter Shakespeare-Stumpf übrig. Ausnahmen wie eine packende Produktion in Amsterdam von Olivier Py und Marc Minkowski, wo Krieg auf der Bühne und in den Herzen herrschte, Tote bereits im Prolog weggeräumt wurden, und die Liebenden aus Särgen kletterten, bewiesen nur die Regel: Das ist Gounod-Dekoware für Goldkehlchen.

Anders hat man es jetzt auch am Opernhaus Zürich versucht; wobei hier ebenfalls, von Arte live mitgeschnitten und zeitversetzt übertragen, eindeutig das Golden Couple in den Titelrollen im Mittelpunkt stand. Benjamin Bernheim, ideal in diesem Fach, bisweilen ein schwergängiger Akteur, hat sein konzertantes Rollen-Debüt Anfang des Jahres in Montreux gegeben, noch im Juni wird er an der Seite von Lisette Oropesa (die dieser Tage an der Scala Lucia di Lammermoor ist) eine weitere Neuinszenierung an der Opéra de Paris zieren.

Und auch Julie Fuchs, die Zürcher Julia steht nicht mehr in der Jugend erster Blüte, stimmlich wächst sie zudem über dieses Fach hinaus. Doch der amerikanische Regisseur Ted Huffman, bekannt geworden für seine einfachen, cleanen, aber eben auch cleveren Inszenierungen, die nichts verbiegen, aber Konflikte zuspitzen, ging in einem nüchternen Ambiente ohne große Gefühligkeit vor und ließ doch echte ehrliche Emotion entstehen.

Dafür hat ihm Andrew Liebermann einen schmucklos halbhohen, sehr tiefen Kasten in graublau gebaut, den man links und rechts durch Tapetenflügeltore betreten kann. Darin stehen sich zwei Reihen heller Gemeindehausstühle gegenüber. Mehr braucht es nicht. Natürlich werden die Stühle im Verlauf des Geschehens immer unordentlicher, passend zum Seelenhaushalt der der Protagonisten, bis sie ganz verschwunden sind. Und die Wand, sie schiebt sich unbarmherzig zwanghaft immer weiter vor, bis sie zu den finalen Seufzern dieses fatalen Paares an der Rampe abschließt, beiden jeden Raum genommen, ja Sauerstoff entzogen hat.

Annemarie Woods‘ Kostüme verweisen auf die Fifties in den USA, noch vor der großen Rock’n’Roll-Welle vergnügt man sich hier beim Cotillon (oder ist es die Prom Night?) noch mit Mazurka und Walzer. Die Jungen tragen Debütantenweiß mit Damenspende am Handgelenk, die älteren aufgerüschte Abendkleider wie auf den Fotos von Diane Arbus. Hart und unbarmherzig ist das ausgeleuchtet, jener Raum, in den der junge Roméo zu stolpern scheint, ziellos, bis er seinem Schicksal Julia begegnet, sofort sind beide einander verfallen. Ted Huffman zeigt das präzise ohne überschwängliche Operngestik.

Sehr gut geführt sind so die beiden Hauptdarsteller. Bei ihm begeistert neuerlich sein metallischer Kern in der Stimme, den er doch so fein durch alle Register hindurch zu verblenden versteht. Das gibt ihm eine juvenile Dringlichkeit, auch eine wissende Naivität, die stets weich sich rundet und doch jedes Wort verstehen lässt. Das ist bei Julie Fuchs nicht immer der Fall. Ihr heller Sopran klingt schon reifer, doch sie kann ihn zurücknehmen, fokussieren, dann wieder im unbekümmerten Liebeswollen anschwellen lassen. Ihre Julia ist ein Beispiel von darstellerischer Intelligenz, die das Lebensalter der Protagonistin vergessen lässt. Beide machen sie gute Figur, passen fein zusammen, verströmen sich prächtig, sind in jeder Sekunde glaubwürdig bei sich. Huffman kann da relaxed formen und arrangieren, das Paar hat Ausstrahlung im Übermaß.

Wenig bleibt hingegen von allen anderen Mitsängern haften, sie kommen vor und erledigen ihre Aufgaben. Einzig der forsche Stéphano in seiner Taubenarie (viel ist hier von Geiern, Lerchen, Nachtigallen die Rede…) kann punkten – und Svetlina Stoyanova nutzt mit frischem, verspielten Mezzo ihre Chance. Blässlich verschwimmen hingegen sowohl der allzeit dienstbare Pater Lorenzo (Brent Michael Smith), der bullige Mercutio (Yuriy Hadzetskyy), Graf Capulet (David Soar), Tybalt (Omer Kobiljak), die Amme Gertrude (Katia Ledoux) und die übrigen Stickwortgeber. Etwas laut und ungefügt klingen die spielfreudigen Chöre (Ernst Raffelsberger).

Was vermutlich am mangelnden Durchsetzungsvermögen von Roberto Forés Veses liegt. Der dirigiert meist nach Notenlagen, wenig impulsiv, mehr dekorierend als deutend. Und oftmals einfach zu laut, besonders am Anfang. Das pendelt sich etwas besser ein, die Philharmonia Zürich hat ihre Momente, leuchtet frisch und strahlt, spielt feinsinnig und rhythmisch knackend. Da glänzen dann die Streicherkantilenen und knattert schmiegsam-schmetternd das Blech. Aber zu oft reduziert sich „Roméo et Juliette“ an diesem Abend doch wieder auf eine Gesangsoper. Was eigentlich nicht sein müsste.

„Roméo et Juliette“ für zwei Monate auf arte.tv/opera

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