Lausitz macht möglich: Elīna Garanča und Gidon Kremer bei einem neuen Musikfestival in der Dorfkirche

Liederabende sind selten im Kalender der Elīna Garanča, meist bevorzugt sie die (weit lukrativeren) Arienrezitals. Doch bei dem neuen, zwecks Förderung strukturschwacher Regionen finanziell vom Bund üppig ausgestatteten Lausitz Festival war es jetzt einmal wieder so weit. Und seltsam: Während der lettische Mezzo bei den Opernausschnitten oft kühl und wie hinter einer Maske bleibt, liegt ihr die kleine, intime Form viel besser. Obwohl sie auch hier Distanz bewahrt, sich in der mit maximal 2600 Plätzen (von denen nur 460 besetzt sein durften) trotzdem intim holzheimligen größten evangelischen Dorfkirche in Cunewalde ganz auf die Musik konzentriert. Drei, vier Gesten, oft ein ausgestelltes in sich Hineinhören, kurzer Augenkontakt zum unauffällig, aber sehr fein spielenden Pianisten Malcom Martineau. Mehr ist da nicht. Aber die Lieder sprechen – durch sie. Durch diese ungemein ebenmäßige, leicht sich aufschwingende, die akustisch feine Kirche perfekt füllende Stimme.

Den Brahms- und Rachmaninow-Block hatte Elīna Garanča schon 2017 in Salzburg dabei, neu war in der Lausitz für die pausenlosen 90 Minuten der Einstieg mit Schumanns „Frauenliebe- und leben“. In einem schwarzfloreal bestickten weißen Abendkleid mit Schwanenflaumjacke sangt sie diese Lieder einer weiblichen Unterwerfung ein wenig distanziert, dadurch aber souverän und durchaus tiefempfunden. Die Stimme srtömt frei, leicht ist die Höhe, fein verbunden geht es auch in tiefere Regionen, unten kann sie durchaus nachdrücklich, dunkel werden. Und trotzdem ist das ein genuin lyrischer, beweglicher, farbenreicher Mezzo, mit dem sie souverän spielt. Und den Schumann fein austariert sein lässt zwischen Emanzipation und Hingabe. Eine deliziös-geschmackvolle Gradwanderung.

Auch in den neun Brahms-Lieder kennt Elīna Garanča die Fülle des Wohlklangs, die Zurücknahme wie die durchaus pathetische Überbetonung. Und schafft so den Bogen zwischen „Liebestreu“ und dem bannend-ekstatischen „Von ewiger Liebe“. Auch hier gestaltet sie ganz aus den makellos artikulierten Worten, sie muss die Musik nicht mit falscher, druckvoller Emotion aufladen, scheint eher über diesen uns so fernen, weil verbal genau artikulierten romantischen Überschwall nachzusinnen. Der Brahms von Elīna Garanča ist unbedingt einer der Geschichten erzählen, Stimmungen evozieren will. Der nuancenreich wandlungsfähig ist. Und der sich so süß und nachhaltig in die Gehörgänge einträufelt. Der aber auch den dynamischen Ausbruch kennt, wenn er gebraucht wird.

Zwischendurch spielt Malcom Martineau Schumanns Träumerei und Brahms‘ Intermezzo Op. 16 Nr. 4 mit angenehmer Diskretion. Beide gestalten abschließend die sieben Rachmaninow-Melodien entspannt, leidenschaftlich, doch freier, üppig lässiger als den deutschen Repertoireteil. Diese klingenden Kurzmomente wissen die Künstler immer neu zu differenzieren. „Frühlingsstürme“ bei Herbstwetter, da tobte das begeisterte Publikum in Kirche im Umgebindedorf in der Nähe von Bautzen. Endlich hat sich übrigens auch die Deutschen Grammophon zu einer Liedplatte für ihren Star durchringen lassen, die bald erscheint.

Ein neues Klassik-Festival in der Lausitz. Ausgerechnet in Corona-Zeiten. Daniel Kühnel, der umtriebige, besonders in CDU-Kreisen bestens vernetzte Intendant der Hamburger Symphoniker, ließ sich davon nicht schrecken. Und hat nach einem kurzen Tryout im letzten Jahr, der heftig kritisiert wurde, weil das lokale Element zu wenig vorkam, teure Künstler in der Dorfkirche ohne Einbettung austauschbar wirken, seine Lektion gelernt. Noch immer sind die herzlich zweitklassigen Hamburger mit ihrem entbehrlichen Chef Sylvain Cambreling dabei, dieser Nepotismus wäre nicht nötig. Auch den wegen seiner #MeeTooereien diskreditierten Charles Dutoit muss man in Ostdeutschland halt schlucken, um seine ihm in Treue weiter musikalisch verbundene Ex-Gattin Martha Argerich dorthin zu locken. Aber was Kühnel in Hamburg bei seinem in die Laeiszhalle lozierten Argerich-Festival Recht ist, kann ihm in Lausitz billig sein. Zumal die Marthita sich noch ein zweites Mal unter besonderen Umständen hören ließ.

Aus der Jugendstil-Synagoge in Görlitz, die die Pogromnacht von 1938 überstanden hat, streamte sie mit ihrem Cello-Freund Mischa Maisky in einem bewegenden Duokonzert Werke von Bach, Beethoven, Bruch und Olivier Messiaen, der im nahen Kriegsgefangenenlager einst sein Quatuor á la fin du temps komponierte. Das Video ist nach wie vor auf der Webseite des Festivals abrufbar.

Aber auch sonst hat Kühnel unter dem Motto „Europa. Kultur. Morgen“ seine Hausaufgaben gemacht. Wenigstens für ein Paar Musikmomente und das Nachdenken darüber war diese gern peripher begriffene Region das was sie ist: Mittelpunkt, und nicht nur der geographische Europas. Konzert, Liederabend, Theater, Jazz, Ausstellung, Installation, Lesung, Vortrag, Gespräch standen hier nebeneinander. Von der „Winterreise“ auf polnisch bis zur Serenata latina. Auch wenn sich das erst entwickeln, noch besser mit lokalen Künstlern und Initiativen verzahnen muss. Drei Wochen lang konnte man 46 hochkarätige Veranstaltungen und Ausstellungen erleben, von Lübben bis Zittau, von Weißwasser bis Bad Muskau. Auch wenn es das zeitweilige Beherbergungsverbot in Sachsen und Brandenburg nicht eben einfacher machte. Und am optischen Auftritt mit eher muffigen Gemäldeillustrationen noch zu arbeiten ist…

Das Publikum jedenfalls kam und war beglückt. Zufällig herausgegriffen zum Beispiel in der akustisch arg verhallten Kreuzkirche in Görlitz, einem blau leichtenden, elegant-strengen Zwanzigerjahrebau. Hier spielte Gidon Kremer mit dem ihm verbundenen Trio Madra Petersone (Violine) und Pianisten Georgijs Oskonis. Während bei Elīna Garanča wenig lokale Töne zu vernehmen waren, versuchte es dieser kurze, intensive Abend unter dem Motto „Ostwärts“. Und kombinierte mit Mieczyslav witzig-schwebender Weinbergs Sonate für zwei Violinien, sowie dem Notturno aus den 3 frühen Stücken, Chopins Polonaise-Fantasie op. 61, dem Sibelius-Notturno, Valentin Silvestrovs solistisch geigenattackierter Serenade, sowie drei frühen Schostakowitsch-Tanzstücken als Trio Musik aus Polen, Finnland und Russland. Das war so abwechslungsreich wie spannend. Dabei großartig musiziert. Und solches möchte man beim Lausitz Festival gern mehr hören.     

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