Die Kröte ist eine Kröte: In Zürich startet Andreas Homoki mit dem von Gianandrea Noseda klangerleuchteten „Rheingold“ einen ambitionslosen „Ring“-Neuanfang

Fotos: Monika Rittershaus

Der optische Deutungsanspruch geht hier eigentlich schon im ersten Bild flöten. Obwohl zunächst nur in völliger Dunkelheit die Kontrabässe ihr tiefes Es grummeln, bevor die Celli sich in die Wellenbewegungskurve legen. Hebt sich die Kurtine, dann dreht sich da wieder eine der herkömmlich bekannten weißen Altbausalonbühnen Christian Schmidts. Viermal das gleiche, leere, lediglich mit dezenter Täfelung verzierte Zimmer, wo man hinter dem offenen Fenster ins Schwarz blickt, hat er diesmal auf die Scheibe gestellt.

Und das Zürcher „Rheingold“-Personal muss auch bewegungstechnisch eine Art Wagner-Halbmarathon absolvieren; zum Glück wird nur in der ersten Szene pausenlos gelatscht und gedreht, wenn die drei albinohaften Rheintöchter sich in ihren Betten wälzen und der schwarzgewandte Alberich (sehr direkt, wendig und vokal zupackend: Christopher Purves) den Nickern hinterherhechelt – und dabei mit seinem offenen Grauhaar aussieht wie #MeToo-Unhold Gustav Kuhn!

Das freilich wäre eine Aktualisierung, und um die geht es dem inszenierenden Hausherren Andreas Homoki in keinster Weise. Er siedelt seinen „Ring“-Anfang – mit der Tetralogie leitet er seinen Abschied von Zürich ein – bequem, dabei neckisch kapitalismuskritisch im 19. Entstehungsjahrhundert an, so wie so viele vor ihm. Eingebettet freilich in ein wenig Lokalkolorit. Schließlich schuf Wagner im Schweizer Exil die Dichtung und erste Musikpassagen für den unerhörten Vierteiler, in Hotelsälen las er – gegen eine Gratifikation – daraus vor.

Und so ist die Götterfamilie jetzt wieder mal so eine Art bourgeoiser Clan in städtischer Tournüre: der wuchtige, aus beiden Augen schauende Wotan des bisweilen seine Worte arg kauenden Tomasz Konieczny erst im Haus-, dann im Bratrock; seine madamige Gattin Fricka der gewitzten Patricia Bardon; die Debütantin Freia (Kiandra Horwarth); die beiden Cricket spielenden Bengel Donner (Jordan Shanahan) und Froh (Omer Kobiljak) in identischer Preppy-Chic-Uniform. Dazu kommen als sonntäglich fein gemachte Bauarbeiter vom Land die Riesen Fafner (Oleg Davydov) und Fasolt (David Soar). Und natürlich quecksilbrig, als Spielmacher, Kommentator, Vorherseher, mit trockenem Timbre, aber noch funkelnden Höhe der Loge von Matthias Klink – im orangen Samtrock, mit Zylinder und Spitzbart eine Mischung aus mephistophelischem Sinti und Zirkusdirektor, der auch mal juchzend in die Luft springt.

Die „freie Gegend auf Bergeshöhen“ des zweiten Bildes, sie ist die jetzt langsamer sich drehende Wohnlandschaft, in der sich schon klobig braune Gründerzeitmöbel türmen. Man möchte bald in die neue Behausung einziehen, vorher aber muss noch das Finanzielle mit den Riesen geklärt werden, die auf einem Ölschinkenrahmen sitzen, der Walhall zeigt – als mittelalterliche Burg in Hügellandschaft. Die bald durch rohe Riesengewalt zerrissen ist. Das Gold wird eine Etage tiefer bei den Nibelungen eingetrieben, erwachsene Grubenarbeiter, vorangetrieben, wie auch dessen Bruder Mime (Wolfgang Ablinger-Sperrhacke) von Alberichs Peitsche. In der Tiefe wohnt man zwar ähnlich, nur mit schwarzer Möblage, trotzdem muss Homoki ganz fantasielos den Vorhang bei Ab- und Aufstieg fallen lassen. Dafür gibt es bei Alberichs Verwandlungsspielereien vor der Kröte die hübsche Zimmerversion eines „Game of Throne“-Drachen, der als domestiziertes Haustier aus dem Schrank raucht.

Da werden viele Goldnuggets geschichtet, Nebel und unsichtbarer Regenborgen ereignen sich lediglich als weißer Lichtschein im Wäscheschrank. Am Ende hat die liebe Mafia-Familie nichts mehr, außer einem langen Goldtisch (jeder Putin-Gedanke würde Homokis brave Narration nobilitieren), an dem man schon mal für die für die Opernfortsetzung Platz nimmt. Letzter Vorhang.

So spult sich das hurtig wie überraschungslos ab. Man wird angenehm unterhalten, nie gefordert. Einziger Vorteil dieser Bühne: Ab und an kann man sich für Konspiratives zurückziehen, auch der Dialog Wotan-Erda (schlankstimmige Albino-Mama: Anna Danik) ereignet sich im Nebenzimmer.

Das große Züricher Plus: die Begleitung durch den neuen Musikdirektor Gianandera Noseda. Der Italiener dirigiert seinen ersten „Ring“. Und schon in diesem „Rheingold“ spürt man: Neugierde, Farbenfreude, Witz, Lust an den Figuren wie den plastisch aufgefächerten Stimmungen der Handlung und dem akustischen Ausmalen der Schauplätze. Das macht Hörfspaß, überrascht, ist nah dran am Geschehen, wo die Regie auf Distanz gehend brav abspult – und wenig Erwartung für die drei noch ausstehenden Teil schürt. Der „Ring“ als Pflichtübung…

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