„Erbbiologisch und sozial minderwertig“: Puppenspielstar Nikolaus Habjan streamt sein berühmtestes Stück für einen gute Zweck

Puppen, Oper, Pfeifen. Nicht unbedingt drei Dinge, die man sich harmonisch in einer Person vereint vorstellen kann. Doch es gibt sie, und diese kann und will noch viel mehr. Nikolaus Habjan heißt sie – und ist ein 33 Jahre junger, spilleriger Mann aus Graz. Mit schwarzen Haaren, Undercut, akkurat gescheitelt, bisweilen mit Bärtchen, was ihn ein wenig älter, markanter macht. Er ist sehr höflich, ja wohlerzogen, artikuliert sich klar, schaut sein Gegenüber offen und neugierig an in einer ungewöhnlichen Mischung aus spätkindlich und frühvergreist, K.-u.-k-Ennui und furchtloser Mutwilligkeit.

Denn Nikolaus Habjan, der gegenwärtig im österreichischen Geschwindmarsch durch beinahe sämtliche Wiener, Grazer, Tiroler und Bregenzer Hochkulturorte kreativpflügt, und längst auch schon Deutschland kreativ aufmischt, in diesem Sommer sogar Bayreuth, er ist Puppenspieler und -bauer, Musiktheaterregisseur, Kabarettist, Schauspieler, Stimmenimitator – und Kunstpfeifer. Ein eigenwilliger Gesamtkunstwerker. Ja, Habjan will gefallen und Erfolg haben, er hat aber auch eine Mission, eine kämpferische und politische.

Denn Nikolaus Habjan ist kein Nerd, keiner, der sich hinter seinen angeblich vom schmutzigen Schiele inspirierten Klappmaulpuppen versteckt, weil er selbst nicht lebenstüchtig ist, der mit verstellter Stimme spricht, weil er der eigenen nicht traut.

Seine Figuren, die ganz im Gegensatz zu ihrem eigentlich still wirkenden, dann wieder übersprudelnden Schöpfer und Führer sehr direkt und unverstellt kommunizieren, entwickeln sofort ihren eigenen Rhythmus, sind nicht schön, aber echte Persönlichkeiten. Die zu leben scheinen, weil sie so charaktervoll, eben nicht anmutig wirken. Man sieht ihnen das Material, das Gebastelte an. Gerade dieser Antiperfektionismus macht sie so ausdrucksstark, so subversiv und unbotmäßig. Sie sind erschreckend menschlich und doch abstrakt.

Und deshalb so genau richtig für die bösartigen, unsichtbaren Charaktere, die die Spezialität des netten Herrn Habjan sind. Und die ihn – auch mit dem unheimlich vielseitig einsetzbaren Herrn Berni („Hust net – stirb!“) – schlagartig berühmt machten, als er 2012 zusammen mit Simon Meusburger eines der ungeheuerlichsten, weil weitgehend ungesühnten Nazi-Verbrechen auf besonders berührendes Puppenformat brachte: die Geschichte der dem wahnwitzigen Euthanasiegedanken geopferten Kinder in der Wiener Nervenheilanstalt Steinhof, konkretisiert an dem damals noch lebenden Habjan-Freund Friedrich Zawrel, der sein eigenes Schicksal durch Puppen gespiegelt und damit ertragbar fand.

„F. Zawrel – Erbbiologisch und sozial minderwertig“ ist die so beklemmende wie befreiende Produktion der kleinen Wiener Off-Bühne Schubert Theater, eines ehemaligen Pornokinos, Sie wurde mit Preisen überhäuft und zu Festivals eingeladen. Unter dem Motto „WirHabenPlatz“ – Ihr streamt, wir spenden für Courage“ zeigt Habjahn gegenwärtig sein Erfolgsstück und spendet alle Einnahmen der digitalen Theaterbesuche für die Kinder von Moria und #Karatepe, damit dort den Kleinen geholfen wird und das Flüchtlingselend auf Lesbos ein Ende hat.

Stream unter vimeo.com/ondemand/zawrel

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