Auf hohem Niveau enttäuschend: Nicht einmal Asmik Grigorian wächst mit ihren Singdarstellerinnenkünsten in der Frankfurter „Zauberin“ über Tschaikowsky hinaus

Fotos: Barbara Aumüller

Tschaikowskys beste Oper? Naja, er darf das glauben, aber er, der kein sonderliches Selbstwertgefühl besaß, hat auch diverse andere Fehlurteile über seine Musik verbreitet, die heute zum Glück keiner mehr ernst nimmt. Also „Die Zauberin“, ein reizvolles Werk, aber doch zu Recht nicht so populär wie „Eugen Onegin“, „Pique Dame“, „Mazeppa“ und „Iolanta“. Ab und an konnte man diesem Stück durchaus begegnen: Der gern als Castorf der Ukraine gehypte Andriy Zholdak begeisterte 2919 in Lyon mit der 1889 am Mariinski-Theater Sankt Petersburg uraufgeführten „Charodéyka“. Schon 2014 machte sie im Theater an der Wien Station, in der Regie von Christof Loy und – wie jetzt auch in Frankfurt – mit Asmik Grigorian in der Titelrolle. Mauerblümchenexistenz geführt. Vorher gab es Inszenierungen von David Pountney in St. Petersburg und Tatjana Gürbaca in Antwerpen und Erfurt.

Sirene, Circe. So mag man bildungsbürgerlich eine Frau nennen, die die Männer mit übersinnlichen Kräften anzieht, sie kirre macht und zu Opfern ihrer Lüste und Leidenschaften werden lässt. Aber eine Zauberin, das ist eine Hexe, eine, die mit magischen Mächten verbündet ist. Peter Tschaikowskys scheinbar herkunftslose „Zauberin“ Nastasja, genannt Kuma, ist eigentlich eher ein bezauberndes Fräulein. Sie führt eine Lokalität am Fluss, die man sich durchaus als eine Art von erotische Freuden verheißende Insel der Circe vorstellen kann.

Hier dürfen sich Männer hingeben, ihre bürgerliche Existenz vergessen. In ein Schwein wird freilich niemand verwandelt. Kuma wird jedoch zum Spielball einer dysfunktionalen Herrscherfamilie, weil der von seiner Frau entfremdete Fürst Nikita sich für sie begeistert, ja, ihr verfällt. Sie hingegen liebt dessen Sohn, den Prinzen Juri, der sie zunächst auf Befehl seiner Mutter ermorden soll, aber dann ebenfalls ihren Reizen erliegt. Am Ende wird Kuma von der hysterisch überreagierenden Fürstin vergiftet, der Fürst aber tötet seinen Sohn und wird wahnsinnig.

An der Frankfurter Oper hat Asmik Grogorians Ex-Mann Vasily Barkhatov, von dem man auch nach diversen Inszenierungen nicht wirklich sagen kann, ob er nun mittelgut oder doch gut ist als Regisseur, inszeniert: diesmal nur mittelgut. Im uninspirierten Bühnenbild von Christian Schmidt gibt es einen Berghain-Betonkeller mit verführerisch grün lockendem Urwald-Hintersetzer und Galerieecke für die queere Künstlerparty, die doch sehr muffig arrangiert mit albernem Wolfsmännerballett daherkommt. Ein Wolf steht auch als Riesenfigur herum. Getränkeschränke leuchten im Dunkel. Und die fürstliches Oligarchenfamilie wohnt in billigem Gründerzeitpomp dumpfbürgerlich inmitten von Pokalen und Ikonen. Als Gelenk zwischen beiden Welten kann man auch hinter die Kulissen blicken. Doch das ist alles so schnell durchschaut wie konzeptionell erschöpfend.

Die moritatenhafte Handlung hat Tschaikowsky mit einer kraftvoll strömenden, lyrisch kantablen Musik versehen. Da gibt es überwältigende Chortableaus, 15 Rollen, die sich einmal zu einem zwölfstimmigen Satz verdichten, mitreißende Hymnen und Lieder, ein loderndes Liebesduett und ein dramasattes, blechkrachendes Gewitterfinale. Diese ungewöhnliche, harmonisch oft erstaunlich freie, arios mäandernde, flokloregeprägte Partitur, die bereits mit einem streicherlosen Vorspiel aufwartet, dirigiert Valentin Uryupin sehr kompakt, ja dickflüssig.

Immer wieder ballt sich da allzu sehr das Klangfatum zum Tongewitter – und es zieht sich hin, weil hier vor allem auf der Bühne zu wenig passiert, dauern dieselben Konstellationen nochmals durchgespielt werden. Das Opern- und Museumsorchester sowie der Chor unter Tilman Michael – alle sehr gut. So wie auch die diversen kleinen Partien. Frankfurt lässige Ensembleexzellenz kann hier punkten.

Als Nastasja, wandelt die übergehypte Asmik Grigorian somnambul durch das Stück, faszinierend, aber auch mit den bekannten Höhenanstrengungen (Abend vorher sang sie in Frankfurt noch Manon Lescaut). Eine Tour de Force, die doch ins Ziel geht. Iain MacNeil als fieser Fürst, Alexander Mikhailov im Trainingsanzug als boxender Tenorschlappschwanz Prinz Juri und der abgefeimte Frederic Jost als Intriganter Marmyrow sind sehr gut charakterisiert.

Juri ist einer dieser melancholisch schwachen, letztlich verlorenen Tschaikowsky-Helden, in denen der übersensible, schwule Komponist seine eigene Lebenstragik spiegelte. Das große Liebesduett zwischen Kuma und Juri wird so zu einem russischem „Tristan“-Zweisamkeitsvergessen. Für die erkrankte Claudia Mahnke sang die eigens eingeflogene Elena Manistina die Fürstin pastos wutglühend von der Seite; Regieassistentin Verena Rosna spielte sie souverän in Areobic-Hose wie Glitzerkleidchen.

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